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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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alles in allem, kein besonders gutes Gefühl gewesen, wieder durch die Straßen von Stranraer zu gehen. Zu vieles erinnerte an früher.
    »Du siehst betrübt aus.«
    »Ich weiß.«
    Livia hatte ihn zu sich gezogen und geküsst. »Es gibt auch noch schöne Erinnerungen, Colin Darcy. Denk an den Mistelzweig.« Sie war neben ihm hergegangen, mit diesem beschwingten Gang, der fast wie Tanzen war, und dann hatte sie ihm spontan den Vorschlag unterbreitet: »Lass uns doch nach Black Head fahren.«
    »Ist gut.« Colin hatte eingewilligt. Ohne Gegenwehr.
    Und jetzt waren sie hier.
    Colin hatte den Rover in den Hügeln geparkt.
    Sie hatten ihre Schuhe ausgezogen und gingen jetzt am Strand spazieren.
    Ein leichter Wind fegte ihnen den Sand um die Füße, und Colin genoss es, an der Wasserlinie entlangzuschlendern und das kühle Meer zu spüren.
    »Miss Robinson ist seltsam.«
    »Hm.«
    »Hast du gesehen, wie sie mich beobachtet hat?«
    »So ist sie eben.«
    »Ich mag sie nicht.«
    »Ganz früher haben wir Angst vor ihr gehabt. Sie war sehr streng. Später haben wir uns an sie gewöhnt.« Mit Helen Darcy als Alternative war sie den Brüdern nach einiger Zeit wirklich nicht mehr allzu schlimm vorgekommen. »Papa hat sie gemocht.«
    »Was wirst du jetzt tun?«
    »Ich weiß nicht.« Irgendwie schienen sich alle Spuren im Nichts zu verlaufen. Wie die Fußspuren, die er im weichen Sand hinterließ. Nichts blieb übrig.
    Plötzlich fragte er sich, was von seinem Leben übrig bleiben würde. Da waren die London Business School und einige Artikel darüber, wie man mit Informationstechnologie ökonomische Modelle bauen konnte. Arthur natürlich und dieser unglückliche Unfall. SigmaCom? Mit Sicherheit nicht. Mary und die Kleine? Shila? War das sein Leben? Ja, das war es. Okay, das war das London-Leben. Aber was war es sonst, was sein Leben ausmachte? Waren es die wenigen kümmerlichen Erinnerungen von Fremden, in denen er nachklingen würde wie ein leiser Ton, den man an manchen Tagen noch zu hören glaubt?
    Was, fragte sich Colin, ist mein Leben?
    Es überraschte ihn nicht sonderlich, dass Livia ihm die gleiche Frage stellte, nur laut ausgesprochen.
    »Die Frage habe ich gerade gedacht«, sagte er.
    »Ich weiß.«
    »Du hast es gewusst?«
    »Na ja, du hast so ausgesehen, als würdest du genau das denken.« Sie zog sich das Tuch vom Kopf, und ihr langes Haar wehte im Wind. »Ich habe die Frage nur ausgesprochen. Manchmal braucht man jemanden, der so was macht.«
    Er blieb stehen und sah zum Meer hinaus. Das Rauschen war überall, und es tat gut, es zu hören. Die Luft roch salzig und nach dem Treibgut, das in stürmischen Nächten überall angespült wurde.
    »Was genau tust du?«, wollte Livia wissen.
    »Was meinst du?«
    »Ich meine deinen Job«, sagte sie, »das, was du tust, wenn du in London bist.«
    »Ich entwerfe mit dem Computer Modelle, die uns zeigen sollen, wie das Leben funktioniert.« Colin wunderte sich selbst ein wenig über die Wahl der Worte. »Nun ja, wir wollen aufzeigen, wie eine Volkswirtschaft sich in verschiedenen Situationen verhält.« »Klingt nicht gerade spannend«, meinte Livia.
    »Es ist wie in diesen Filmen«, versuchte er es zu erklären, »in denen haufenweise Spezialcffekte vorkommen. Du kennst diese Szenen, in denen riesige Heere von Kreaturen aufeinander einstürmen. Das, was wir tun, ist so ähnlich. Wir unterteilen alles, was lebt und Dinge tut, in Unternehmen und Haushalte und so weiter. Wir überlegen uns, was die Menschen so tun. Was sie kaufen, wie viel sie kaufen, wo sie es kaufen. Wir überlegen uns, ob sie ihr Geld lieber ausgeben oder sparen. Gibt es Unternehmen, die sich anders verhalten als andere? So ein Zeug eben. Wir programmieren all diese kleinen Feinheiten, und dann lassen wir all die Haushalte und all die Unternehmen aufeinander los.« Er hörte sich an, als sei er gerade in einer Vorlesung.
    »Und dann schaut ihr, was passiert.«
    Er nickte.
    »Das soll das Leben sein?«
    »Es ist eine Volkswirtschaft.«
    »Klingt noch immer nicht spannend.«
    »Das ist wissenschaftliches Arbeiten«, sagte er und klang fast schon ein wenig beleidigt.
    »Und diese Telefon-Geschichte?«
    Er erklärte ihr, um was es ging, und stellte fest, wie schnell er redete.
    »Das ist dein London-Leben?«
    »Ja.«
    »Es ist Blödsinn«, sagte sie.
    Er sah sie an. »Ist es das?«
    »Ja, Colin, das ist es.« Sie verdrehte die Augen. »Hör dich doch nur reden!« Auf einmal wirkte sie aufgebracht. »Das ist nicht

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