Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
Vom Netzwerk:
verfolgt von den grauenhaften Gesichtern der Verstorbenen, und jetzt noch dazu, seit ich mehr trinke, von Scharen grausamer fleischfressender Tierchen, Schlangen, Insekten, Frettchen, kugeligen Kröten, die einander in grausamer pflanzlicher Stille verschlingen. Denn seit Afrika, wissen Sie, und vor allem seit dem Tod meiner ersten Frau in der Krebsklinik, seit er, als er aus dem Krieg zurückkam, in die leere Wohnung kam, er nach Dienstschluß auf dem Sofa, vor dem Fernseher festgenagelt, eine Flasche nach der anderen leerte, in der Hoffnung, eine schmerzvolle, unbezähmbare Angst in den Eingeweiden zu beschwichtigen, die weder örtlich festzumachen war noch eine bestimmte Ursache hatte, eine bewegliche Flamme, gierige, am Rost nagende Kinnladen, die langsame beharrliche Säure, die ihn zerfraß. Hauptmann Mendes stellte einen Radioapparat, in dem sich Kommuniqués und Lieder abwechselten, auf das Löschblatt des Schreibtisches, und eine ganze Zeitlang hörte er dem leiser werdenden Geräusch der Stiefel auf dem Flur zu, dem männlichen Räuspern des vierschrötigen Piloten auf der Treppe (eines Obersten auf Lehrgang, wie er später erfuhr, eines Typen, der Jahre später zusammen mit der ganzen Familie bei einem Autounfall ums Leben gekommen war), der Oberleutnant von der Verwaltung stand in Habtachtstellung weiterhin verdutzt an derselben Stelle, sein Urkundenpapier in der Hand, ein Feldwebel brachte das Mittagessen, brachte den Nachmittagstee, brachte das Abendessen, Suppe, Fleisch, Wein, Brot, und ich habe nichts angerührt, der Schlaf kam näher und verschwand von mir wie der Schatten eines Schiffbrüchigen in den Gezeiten am Strand, die ineinander übergehenden Umrisse der Offiziere wurden größer, trennten sich unendlich träge voneinander, jemand drehte am Schalter für die Deckenbeleuchtung,
und tausend ätzende, blitzende Punkte gruben sich in seine Pupillen, der Hals zog sich auf den Schultern zusammen wie ein Polyp aus dem Aquarium, Einschlafen, die Tür ging auf, er sah Leutnant Baptista im Türrahmen, im elastischen, substanzlosen Inneren eines Nebels lautlos auf sie zukommen, Die Militäroperationen sind zu Ende, Sie können den Raum verlassen, Stimmen, Seufzer, Husten, gezischelte Kommentare, Profile, die eines nach dem anderen verschwinden, er möchte sie bitten, das Licht auszumachen, doch kein Satz bildet sich in seinem Rachen, er hört in der Ferne Hauptmann Mendes, der ihn zu rufen scheint, doch er sieht ihn nicht, eine Handvoll erfundener Tabletten schiebt ihn langsam in eine hohle, unbewohnte Tiefe, in der sich Worte und blasses Glitzern mühsam bewegen, jemand stößt ihn an, jemand rüttelt ihn heftig an der Schulter, Herr Kommandeur Herr Kommandeur Herr Kommandeur, ein unbekannter Atem hechelt an seinem Ohr, Der alte Mistkerl ist eingeschlafen, das Bein der Putzfrau streckt sich träge über den seinen aus, der gewohnte lauwarme Achselgeruch platzt in sein Gesicht, Geschrei und Singerei von Soldaten auf dem Kasernenhof, große, freudige Stiefel, Gewehrkolben, die gegeneinanderschlagen, metallische Vibrationen, Lastwagen, und ich dort oben in den gewichtslosen Sand meines Schlafes versunken, öffne und strecke die knorpeligen Zangen meiner Arme aus, rolle mühsam die Nachahmung eines Lautes in meinem Mund, ein Rufen, ein Kinderlied, auf das niemand antwortet.

3
    Nach einem oder zwei Monaten riefen sie ihn nicht mehr zu den Verhören, hörten sie auf, ihn zu schlagen, und verloren das Interesse an ihm, und der Funker dachte verärgert, Die werden woanders frischere Informationen bekommen, haben einen Pideheini mit Bart und energischem Maoismus in die Organisation eingeschleust, jemand hat gesungen, und sie haben mit einem Fingerschnipsen unser ganzes komisches Netz kleiner ungewisser Zellen auffliegen lassen, die nur von den zarten Speichelfäden suspekter Überwacher zusammengehalten wurden. Von der Zelle aus sah man ein Stück Strand hinter der Mauer, den Wachposten mit Maschinenpistole auf einer Art Thron aus Zement, ferne Häuser, winzige Autos auf der Straße mit einer Baustelle, Bäume, Ödland, Haufen aus Bauschutt, und die Stunden waren unabsehbar, Herr Hauptmann, viel länger als beim Militär, uferlose Tage, langgezogen wie endlose Bassets, die Nächte, die nach Urin und Schweiß rochen und in denen sich im Dunkeln Etagenbettgerüste, ausgestreckte Gestalten, Schlaflosigkeiten, Husten, Atmen, das Blutegelgeräusch nackter Füße vermischten, die zur stinkenden Porzellanmuschel des

Weitere Kostenlose Bücher