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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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den Schreibtisch, den Schrank, die Buchrücken ungeordnet auf den Regalen wie übereinandergewachsene Zähne in übereinanderliegenden Gaumen: Ich werde noch einen Monat warten, ob sie in Kontakt mit mir treten, dachte er, und was für eine Entschuldigung soll ich bloß bis dahin den Alten auftischen?
    – Am nächsten Tag tauchte meine Tochter auf, erklärte mir der Oberstleutnant, und ich wachte auf, als sie das Erbrochene wegwischte. Seit Jahren hatte ich mich schon nicht mehr betrunken, mein Freund, ich hatte kiloweise Essen ausgespuckt. Habe ihr eine Heidenarbeit gemacht.
    Da war irgendein sehr fernes Geräusch, als würde ein Mann
gehen, oder zwei Dinge würden sich aneinander reiben, und dann kam das Geräusch näher, kam immer näher, bis in Reichweite. Er versuchte es mit den Fingern zu pflücken, doch der Arm, die Schulter, der ganze Körper gehorchten ihm nicht: er öffnete die Augen und erkannte das Gesicht eines Mädchens im Nebel, das Gesicht eines Kerls etwas weiter weg, teigiges Vibrieren von Stimmen, die der schwere Schädel, der sich wie ein Stein mit schmerzenden Ecken anfühlte, nur bruchstückhaft verstand.
    – Vater, piepste das Mädchen wie eine Ente im Nebel, ist alles in Ordnung, Vater?
    Er erinnerte sich daran, wie er aus der Narkose aufgewacht war, als sie ihm die Galle rausgenommen hatten, wie er die anderen durch einen verformten Filter sah, an die Worte des Chirurgen, die ihm unverständlich in den Gehirnwindungen hallten, daran, wie der Strahl eines geöffneten Wasserhahns ihm in den Schläfen schmerzte wie ein endloser Messerhieb: Zwei Aspirin, dachte der Oberstleutnant, ein Glas Milch, und mir geht es wieder prima, während die Gegenstände um ihn herum deutlicher wurden und ihm bewußt wurde, daß sein Nacken zu winzigen, von der Haut zusammengehaltenen Krümelchen zermahlen war. Das Mädchen (es sieht mir nicht ähnlich, hat mir nie ähnlich gesehen) beugte sich bedrohlich zu ihm herunter wie ein riesiges, in sich zusammenstürzendes Gebäude, das in dicke erschreckende Spuckeblöcke zerbarst:
    – Ich werde Ihnen Wasser holen, Vater.
    Ein Monat lang den Hintern auf den Kaffeehausstühlen wetzen, Zeitung lesen, halbverbotene Bücher in diesem kleinen Tabakladen an der Avenida kaufen, voller Langeweile bei den Wiederholungsmatinées einnicken, Jobs erfinden, um die Alten zu beruhigen, bis ein harmloser Anruf ihn zu einem Treffen auf einer Parkbank bestellte: Unter dem fünften Baum, vergessen Sie es nicht, fast immer unter dem fünften Baum von oben. Und im Laufe dieser Tage voller Nichtstun und Ungeduld würden die Genossen ihn ausspionieren, ihn beobachten, ihn aus der Ferne mit
kluger Vorsicht abschätzen, sich treffen, um seinen Fall auf einem verrauchten Dachboden, in einer Villa in einem Vorort Lissabons, in Lagern, in Garagen zu diskutieren, sie würden auf Berichte von den Zellen in Afrika warten, die womöglich niemals kamen.
    – Mein Junge, jammerte Esmeralda, dumm vor Glück, wobei sie das Doppelkinn im Verdauungsrhythmus von Uhren bewegte.
    Aus dem Fenster seines Zimmers wirkte der Vergnügungspark wie ein Skelett aus Eisenwirbeln, mit gelöschten Lampengirlanden und Giraffen mit aufgemalten Wimpern, die darauf warteten, daß die Kartenschalter aufmachten, um zu zittern, zu kreiseln, über einem Rund aus den Fugen gegangener Bretter zu krachen, das ein Motor unter schlaffem Furzen bewegte. Er packte den Koffer aus, während sich die Hündin an seinen Fußknöcheln scheuerte, der Leutnant löschte das Licht, und das Bett wurde zu einer dunklen Bettuchebbe, in der ihr Atem wie Wellen in der Dunkelheit heranrollte und zurückwich. Eine Tablette kochte auf dem Grund eines Glases, wurde immer kleiner und prallte, indem sie zur Oberfläche hin eine stürmische Gaswolke ausstieß, immer wieder gegen die gläsernen Wände: der Oberstleutnant versuchte das Kinn vom Kissen zu heben, doch das von den Schultern unabhängige Gehirn hatte sich in Mondgestein verwandelt, das keine Kraft der Welt würde wegschieben können: für immer auf der Matratze vor Anker, würde er mit der Einfalt einer Statue das langsame Vorüberziehen der Jahre erleben.
    – Wir haben Stockfischkroketten für dich gemacht, informierte ihn die Patentante von der Tür her.
    Und mit dem Ausdruck komischer Vertraulichkeit, der ihr die Nase unter den grauen, nicht ganz sauberen Haarsträhnen hochzog:
    – Nur den Nachtisch darf ich dir nicht verraten, das ist eine Überraschung.
    – Verfluchte Scheiße, murmelte

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