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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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verdammt noch mal ist das denn hier, wo bin ich denn gelandet?

    Er entließ den Fahrer mit einer flüchtigen Fingertaubenbewegung ins Nichts (Hol mich um fünf wieder ab) und blieb einen Augenblick lang reglos stehen, versuchte die Form und den Farbton der Geräusche wiederzuerkennen, versuchte vergebens, verstreute Erinnerungen zu vereinen, die unaufhörlich vor ihm flohen. Wie die verdammte Zeit uns entrinnt, dachte er, sogar das Bild seiner Frau löste sich auf und verflog langsam und wurde von der harten, autoritären Fratze der Tochter ersetzt, die ihn hin und wieder in der Kaserne besuchte, Da unten ist ein junges Mädchen, Herr Kommandeur, um sich um ihn zu kümmern, ihn zu überwachen, ihn zu kritisieren, ihn wegen seiner Nachlässigkeit, seiner Unordnung, seiner Schlamperei auszuschimpfen, ihm mitzuteilen, daß die Concierge, deren Mann vor Jahren als Bauarbeiter nach Frankreich gegangen war, worüber sie nicht verärgert zu sein schien, einmal in der Woche die Wohnung saubermachen würde, bis der Vater wieder Vernunft annahm (Als würde sie von einer Verrücktheit, einem Kinderschmollen sprechen, sagte er zu mir und nahm eine Zigarre an, als würde ich wirklich einen draufmachen oder sauer auf die Familie sein) und sich entschloß zurückzukehren.
    – Meine Tochter hatte eine Wahnsinnskraft, fügte der Oberstleutnant hinzu, während er die drei Zahnstocherreihen mit der Handkante durcheinanderbrachte. Ich nehme an, sie hatte damals schon beschlossen, sich von ihrem Mann zu trennen, weil sie jedesmal, wenn sie ihn erwähnte, ein unglaublich galliges Gesicht aufsetzte.
    Was mache ich denn hier? fragte er sich verwirrt, während er die Fassaden, die kleinen Läden, den bräunlichen Rasen der kleinen Anlage anschaute, den ein Angestellter der Stadtverwaltung mit der Sichel kämmte, was geht mich denn dieses Haus da an? Ich kannte von den Nachbarn nur das melancholische, bescheidene Rentnerehepaar aus dem zweiten rechts, das ihn eines Nachts in Pantoffeln, wobei sie sich gegenseitig wegdrängelten, um sprechen zu können, darum gebeten hatte, ihren Patensohn von der
Falle des Wehrdienstes zu befreien, ihm einen Posten als Schreiber oder Reinigungskraft zu besorgen, sich um ihn zu kümmern, Herr Major (denn damals war er Major gewesen, so wie er heute, und dabei verzog er sein Gesicht zu lächelnder Bitterkeit, in den nächsten Tagen seine Beförderung zum General erwartete), nicht zuzulassen, daß man ihm zu harte Arbeiten zuteilte oder ihn schlecht behandelte, ihn zum Schießen nach Afrika schickte. Der Oberstleutnant hatte während des ganzen Gesprächs, Das Beste aus Reader’s Digest auf den Knien, verblüfft geschwiegen und ihnen zugehört, und seine Frau hatte die Situation gerettet, indem sie der Alten ein Glas Wasser und einen Anislikör für den Herrn angeboten hatte, der eine abgewetzte Hausjacke mit Tressen und cremefarbene, zu lange Hosen trug, die ihm in übereinanderliegenden Falten auf die karierten Pantoffeln fielen, und versprach, aber ja doch, man werde alles Erdenkliche tun, Dona Inês, seien Sie ganz beruhigt, Artur ist immer so schweigsam, aber er macht sich sehr viele Gedanken um die Leute, dem Enkel der Besitzerin des Modelädchens wurde schon geholfen, wie sollte es da bei Ihnen anders sein, noch ein Glas Wasser, noch ein Glas Anis, nur beim Tod, da könne man nichts machen, Senhor Barbosa, nein, sie störten überhaupt nicht, aber nein doch, Artur hätte es ihnen sogar übel genommen, wenn sie ihn nicht aufgesucht hätten. Jetzt, dachte er, indem er die Tür öffnete, den Fahrstuhl heranrief, eine Zigarette anzündete, kamen ihm die Züge der Verstorbenen wieder ins Gedächtnis zurück, der schmale Mund, der kurze Hals, die Nase, die gezupften Augenbrauen, ihm kamen Augenblicke, Episoden, Dialoge, Orte wieder ins Gedächtnis zurück, ihr Stiefvater, der Steuerbeamte, der ihn feindselig maß, die Mutter, provinziell, dick, komplizenhaft, die ihnen Treffen ermöglichte, Augenblicke, in denen sie allein waren, die Vorwände erfand, um sie ohne eine weitere Person im Wohnzimmer zu lassen, wo sie steif auf dem Flechtsofa saßen, er in Kadettenuniform, sie mit den Händen den Rock herunterziehend, beide unentschlossen, einfältig, stumm, nicht den Mut aufbrachten, sich zu berühren. Er trat auf den
Gummiteppich des Fahrstuhls und begegnete im Spiegel einem Mann mit tiefen Falten und grauen Koteletten, in dessen opaken Zügen sich auf geheimnisvolle Weise etwas von der einfältigen Unschuld

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