Fado Alexandrino
und mir war schwindlig, heiß, kalt, ich hatte unmäßige Koliken, meine Ohren waren zu fleischigen Flammen geworden, die mir an den Schläfen die Haare versengten. Die Leute, denen sie begegneten, erschienen unentschlossen und unförmig, von den Laternen oder den Schaufenstern der Läden beleuchtet, ein sehr gerader Herr mit verschlingenden Pupillen, der gleichzeitig steif und verdächtig geduldig darauf wartete, daß der Pudel, den er an der Leine führte, aufhörte, millimeterweise den Baumstamm abzuschnüffeln, der Verkehr floß unter Gefunkel von Blitzen und Profilen auf dem Boulevard ab.
– Nein, ich war nicht beim Unterricht, erklärte Inês, ich gehe
so wenig wie möglich zum Unterricht. Ich dachte, es wäre gut, mich hier mit dir zu treffen, weil es weit weg von der Lissabonner Wohnung meiner Eltern ist: da besteht keine Gefahr, daß wir gesehen werden.
Die Stimme wie die am Telefon, noch zögernd, naiv, sich den Weg durch die Pflanzen suchend wie ein Wasserrinnsal, aber schon erwachsener, heller, fleischlicher, und der Leutnant spürte wieder die weichen Beine, die vor Lust zusammengezogenen Eingeweide, das Kochen der Ohren, und er erinnerte sich eine Sekunde lang an das Gesicht der Mutter, wie sie ihm den Apparat hinstreckte, Es ist für dich.
– Eigentlich wollte ich wirklich Ballettänzerin werden, enthüllte Inês mit wichtigtuerischem Bekenntnistonfall, aber mein Vater ist in solchen Sachen sehr komisch: wenn es nach ihm ginge, würde keine von uns das Haus verlassen.
Er begann dicht hinter einem Kleinlaster, der wahnsinnig viel Rauch aus dem Auspuff ausstieß, die Autobahn hinaufzufahren, die Büsche am Straßenrand protestierten im Wind, und er dachte, während er den zweiten Gang einlegte, Du sagtest das, und ich stellte mir eine Art borstiges, geschupptes Ungeheuer mit einem einzigen Auge vor, das die Familie, grauenhafte Fratzen bellend, in die Schlafzimmerschränke einschloß, und fürchtete, er würde in diesem Augenblick meinen Brief in tausend Stücke zerreißen, voller Wut im Zickzack umherrennen, dabei riesige, spitze Krallen öffnen und schließen, auf der Suche nach mir unförmig, affengleich, blutrünstig durch die aufgescheuchten Boulevards der Stadt humpeln.
– Und am Ende, sagte der Leutnant, während er den neben ihm sitzenden Soldaten, der ausländische, stinkende, filterlose Rollen rauchte, um eine Zigarette bat, war er ein sympathisches, erloschenes, gewöhnliches, harmloses, von der Verachtung der Ehefrau, vom Geld der Ehefrau, von kurzen militärischen Befehlen der Ehefrau tyrannisiertes Männlein, das völlig stumm in einer Ecke des riesigen Salons, vom Flügel verdeckt, die Fäuste am
Kinn, wie eine sitzengelassene Schnitterin vor der Kapellenhelligkeit des Fernsehers hockte.
Der Leutnant lernte ihn mehr oder weniger zwei Jahre später im Haus in Carcavelos kennen, als er weder Platz für seinen Körper noch für die Hände hatte und schon am Eingang von der Menge der Autos im Hof, der Größe des Gartens, vom Wasser des Schwimmbades, in dem Fischschwärme von Reflexen an- und ausgingen, von den mit Glyziniensträhnen bedeckten Fliesenbildern an der Fassade, von dem widerwärtigen, irgendwie angenehmen Geruch des Geldes verängstigt war: Versicherungsgesellschaften, Häuser, Land im Alentejo, zwei Einkaufszentren, mehrere Firmen, Anteile an einer Bank. Und drinnen wandelte eine Masse von Leuten mit gezücktem Teller umher, sie rotteten sich zusammen, gingen auseinander, unterhielten sich, lachten, küßten Inês und übersahen ihn vollständig oder bedachten ihn, wenn überhaupt, mit weitsichtigem, zerstreutem Interesse, beugten sich wie neugierige Hühner zu Silberschalen um den großen ovalen Tisch mit einem prunkvollen Gegenstand aus Keramik in der Mitte. (Es gab noch mehr Tische auf dem Rasen, einen Tennisplatz, Golffähnchen, und im Hintergrund blonde, ballspielende Kinder.)
– Das ist Jorge, stellte ihn Inês der Mutter vor, die aufhörte, einer greisen Frau zuzuhören, um ihn mit unvermittelt scharfer Aufmerksamkeit anzusehen. Ihre hellen Augen maßen ihn, begutachteten ihn, berechneten ihn, wogen ihn und warfen ihn weg.
– Falls Sie noch nicht zu Mittag gesessen haben, bedienen Sie sich bitte, bot sie ohne jede Freundlichkeit an. Inês, sei so gut und sieh zu, was dein Freund mag.
– Hatte ich mir doch gedacht, gackerte siegreich der Funker mit perversem Kichern, daß du der Verführung des Kapitals erlegen bist.
Während er an eine Kommode gelehnt
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