Fächergrün
beiden Kollegen: »Kartenhandy, aber der Name, auf den es eingetragen ist, existiert nicht. Er versucht es mal mit ’ner Ortung. Im Moment ist es aber ausgeschaltet.«
Unschlüssig ging der Kommissar einige Schritte durchs Zimmer, dann stellte er sich ans Fenster und blickte ein paar Minuten schweigend auf die Straße hinunter.
Wellmann und Sternberg wussten bereits, was kommen würde. Als Lindt sagte »Ich brauch Bewegung, der Gallo-Clan liegt mir irgendwie im Magen«, nickten sie nur.
»Im Magen«, echote Jan Sternberg, als sein Chef die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Er wollte wohl sagen: Ich hab ein Loch im Magen.«
»Wir wissen ja, wo er zu finden ist«, seufzte Paul Wellmann. »Fahndungszentrum Imbiss Karlstraße, Verdächtiges wird sofort verzehrt!«
Weit gefehlt! Vor dem Präsidium schaute Oskar Lindt sich unschlüssig um. Die steigende Hitze des späten Vormittags überlagerte anscheinend das sonst allgegenwärtige Thema Essen.
Mit dem Fahrrad in den schattigen Hardtwald? Keine schlechte Idee. Oder zu Fuß eine Runde durch den Stadtgarten?
Nein, es zog ihn ans Wasser. Er ging hinüber zur Haltestelle Mathystraße, stieg dort in eine Bahn der Linie 6 und fuhr über Europaplatz, Mühlburg und Daxlanden bis zur Endstation am Rappenwört.
Nach ein paar Minuten stand er auf dem Damm und freute sich über das frische Lüftchen, das vom Rhein her wehte.
Ein Kohlefrachter auf Bergfahrt lag tief im Wasser und kämpfte sich in Zeitlupentempo an ihm vorbei. Wesentlich schneller war ein holländischer Schubverband mit Containerladung in Gegenrichtung.
Lindt blieb stehen und schaute gedankenverloren den Schiffen nach. Ein guter Platz, um Ordnung im Kopf zu schaffen.
Die Bilder der letzten Tage machten sich in ihm breit. Die toten Brüder, das Eichenholzmobiliar des Büros, das große Hoftor, der alte Diesel und der noch ältere Laster, der Schuppen mit seinem kalten Betonkeller und den primitiven Kammern, die geldgierige bankrotte Nichte. Und immer wieder sah Lindt grün.
Grün wie die Baumkronen der Auenwälder hinter ihm, grün wie die kurz gemähte Böschung des Rheindammes, grün wie die zerriebenen Eibennadeln im Mörser … giftgrün …, nein, eigentlich waren sie von einem satten, dunklen Tannengrün. Eine beruhigende Farbe, so vertraut, so unspektakulär.
Langsam ging er weiter. Gemächlich, immer geradeaus, oben auf dem Damm, sogar langsamer als sonst. Schritt für Schritt. Er kam sich vor wie das Kohleschiff mit seiner schweren Fracht, das gegen die mächtige Strömung ankämpfte.
Hatte das Stampfen des bedächtigen Schiffsdiesels nach wie vor im Ohr, obwohl er ihn längst nicht mehr hören konnte.
Erneut drang das Geräusch des alten Lastwagendiesel in sein Ohr, obwohl er ihn früher nie bewusst wahrgenommen hatte.
Sah den Kapo in der engen Hofeinfahrt mit breiten Händen am großen, dünnen Lenkrad kurbeln. Schwarzhaarig, klein, breit, stark. Das Bild wurde immer deutlicher. Dunkle Augen, Lachfalten, damals alltäglich, trotzdem nie richtig beachtet.
Jetzt war er weg, vermisst, verschollen, schon seit sechs Jahren.
Abgehauen? Weggeholt? Umgebracht? Verunglückt? Nie gefunden. Bis heute nicht.
Lindts Augen blickten zwar auf den Kiesweg, streiften über den mächtigen dunklen Strom, folgten zwar den vorbeiziehenden Schiffen, aber in Wirklichkeit schauten sie nach innen.
In denjenigen hinein, der 20 Jahre gegenüber gewohnt hatte und doch so wenig über die alten Brüder wusste.
In denjenigen hinein, der täglich junge Italiener durch das große grüne Holztor ein und aus gehen sah und trotzdem keine Ahnung von ihrem harten Leben gehabt hatte.
In denjenigen hinein, der in seinem langen Polizistenleben schon viel erlebt hatte, aber nie darauf gekommen wäre, dass sich zwei einfache, unauffällige Maurer ein derartiges Vermögen aufbauen konnten.
In den hinein, der … Ruckartig blieb Lindt stehen. Glück gehabt, fast reingetreten, nein, draufgetreten. Er bückte sich, um genauer hinzusehen. Das kleine, längliche, graue Häufchen vor ihm, nein, doch keine Hundesch… Vorsichtig tippte er es mit seiner Schuhspitze an, dann erkannte er, was vor ihm lag. Er ging in die Knie.
Eine Maus, mausetot, mitten auf dem Weg – jedoch kein gewöhnliches Nagetier – nein, Lindt sah eine lange, dicke, dicht behaarte Schnauze. Schade drum, schade um die Spitzmaus. Kein Körner-, sondern ein Insektenfresser. Auf den ersten Blick eine ganz normale Maus. Vielleicht hatte eine Eule sie
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