Fächertraum
»Die BePo-Hundertschaft aus Bruchsal und unsere Hundestaffel – bisher nichts Wesentliches.«
Willms widersprach ihm: »Gefunden haben die genug, unser halbes Labor steht voll mit irgendwelchem Zeug, aber wenn wir das alles untersuchen sollen, sind wir an Weihnachten noch dran.«
Der Kommissar brummte etwas Unverständliches und schlug die Mappe zu. »Welche Zusammenhänge sind denkbar? Tragt mal eure Ideen vor.«
Jan preschte vor: »Guth trifft sich mit dem Unbekannten am Erdbunker, sie geraten in Streit, und er knallt ihn ab.«
»Motiv?«
»Geld?«
»Möglich, und wer erschießt dann zwei Tage später den Guth? Ein Rächer?«
»Nein, wie hätte jemand vom Tod des Unbekannten erfahren sollen?«
Lindt stimmte zu. »Kaum möglich.«
»Der Bettenmann war selbst ziemlich klamm.« Wellmann suchte in den Unterlagen. »Hoch verschuldet, 290.000 vom Hauskauf, und das Girokonto mit 13.000 in den Miesen. Kein Wunder, dass die Frau abhaut.«
»Dann ist der Schmuggel in den Matratzen wohl doch nicht so lukrativ«, mutmaßte Jan.
»Mengenmäßig ohnehin ein kleiner Fisch«, erwiderte Lindt, »hat mir der Kollege vom Zoll direkt bestätigt. Das richtig große Geld fließt erst mit ganzen Containerladungen.«
»Gleich 10 Uhr.« Paul Wellmann griff nach der Fernbedienung des Fernsehgeräts. Tatsächlich brachte die Tagesschau einen 15–Sekunden–Bericht mit den Bildern der beiden Ermordeten und forderte die Bevölkerung zur Mithilfe auf. RTL titelte sogar ›Hinrichtung: Kopfschuss im Hardtwald‹ und interviewte den Pressesprecher der Karlsruher Polizei übers Telefon.
»Ihr wisst, was zu tun ist«, beendete Lindt die Besprechung und zog sich in sein Büro zurück.
Ein kleiner Fisch, ging es Lindt nochmals durch den Kopf, als er wieder zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch saß. Dieser Matratzenmann war keine große Nummer. Ein kleines Rädchen im großen Getriebe der Zigarettenmafia? Oder wirtschaftete er ganz auf eigene Rechnung? War er den Bossen deshalb ein Dorn im Auge? Aber schießt man so jemandem gleich eine Ladung Schrot ins Gesicht? Obwohl – zu den Mafiosi könnte es passen.
Lindt nahm die Pfeife aus dem Mund, schloss die Augen, legte die Beine hoch und stellte die Rückenlehne schräg. Früher hatte er immer mit geschlossenen Augen geraucht, aber seit er einmal dabei weggenickt war und die Glut aus der fallenden Pfeife sich schmerzhaft in seinen Oberschenkel gebrannt hatte, ließ er das lieber.
Die Berichte von Technik und Gerichtsmedizin dauerten noch – also, was dann?
Sein Kopf fiel ihm auf die Brust. Er schreckte hoch. Nein, nachdenken, nicht einschlafen! Wieder fielen ihm die Augen zu.
Raus?
Raus!
Lindt stand auf. Ein wenig Bewegung an der frischen Luft würde ihm sicher helfen.
Fahrrad? Zu Fuß? Aber wohin?
Die Linie Fünf kam ihm gerade recht. Er stieg ein und am Hauptfriedhof wieder aus.
Keine Ahnung, was ihn hierher führte. November, der Toten-Monat? Wann war er in Rüppurr gewesen? Letzte Woche? Und jetzt schon wieder auf einem Friedhof?
Langsamer als sonst ging er zwischen den Gräberreihen hindurch. Dreimal in seiner Dienstzeit hatte er hier exhumieren lassen. Jedes Mal berechtigt, wie sich herausstellte. Obwohl die Aktionen bereits Jahre zurücklagen, kannte er die Stellen noch genau.
Nein, nicht daran vorbei. Lindt bog in einen kleinen Seitenweg. Vor einem unbehauenen Sandstein blieb er stehen. Der alte Kopp, sein Lehrmeister und Vorgänger als Leiter der Mordkommission. Kaum 70 geworden, beim Angeln einfach umgefallen. Wie hoch war noch gleich die statistische Lebenserwartung im Polizeiberuf?
›Friedrich Kopp‹ und zwei Jahreszahlen, mehr stand nicht auf dem schlichten roten Stein.
Als junger Kommissar hatte es Lindt bei ihm nicht leicht gehabt. Sein Jähzorn war damals im ganzen Präsidium gefürchtet, und wehe dem, der seinen Anweisungen nicht sofort folgte. Aber fachlich war der alte Kopp anerkannt erstklassig. Nicht einmal der Oberstaatsanwalt wagte Widerspruch zu erheben. Und der Erfolg gab ihm recht.
Endlose Verhöre waren Lindt aus dieser Zeit noch in Erinnerung. Stunde um Stunde immer wieder dieselben Fragen. ›Weichkochen‹, war die Methode, und das Vernehmungszimmer wurde nur ›Küche‹ genannt.
›Oskar, Küchendienst!‹ Wenn Friedrich Kopp ihm das zurief, wusste er, was bevorstand. Zu zweit nahmen sie den Verdächtigen ins Gebet, oder besser gesagt, in die Zange. Einer links, einer rechts. Neonleuchten, fensterloser Raum. Kopp nebelte mit
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