Fänger, gefangen: Roman
müssen.« Ich wische mir den Schweiß vom Gesicht, aber als ich das Handtuch runternehme, ist da überall rotes Zeug drauf. Ich seh auf meine Hände. Auch rot.
»Was zum ...«
Mom fängt an zu schreien. Ich versuche, mich zu erinnern, was ich mit Kirschen oder Tomaten darin gegessen haben könnte. Als ich mich umdrehe, um den Schwamm zu nehmen, kommt Joe in die Küche zurück. Sein Kopf taucht gerade aus dem oberen Ende seines Fleecepullovers auf, als er ihn sich zurechtzieht.
»Hast du dich geschnitten?«
»Ich habe Teller und Tassen abgetrocknet wie schon hundert Mal zuvor«, mache ich ihm klar. »Ich hab mich nicht geschnitten.«
Auftritt Dad. »Ach, du liebe Zeit! Setz dich, Daniel.« Mit ausgebreiteten Armen, die Handflächen nach oben, tritt er auf mich zu, drückt meinen Kopf nach hinten, begutachtet mein Gesicht, legt dann beide Hände auf mein armes Haupt und presst es zwischen die Knie. »Okay,okay, alles wird gut. Er hat nur Nasenbluten, Leute, das ist alles. Sylvie, beruhige dich.«
»Nasenbluten? Seit wann krieg ich Nasenbluten?« Es gurgelt beim Sprechen, und ich sehe Tropfen im Stakkato auf den abgewetzten Linoleumboden fallen.
Nicks Sportschuhspitzen ragen in mein Blickfeld, dann wird mir von unten ein Handtuch vors Gesicht gehalten.
»Danke«, murmele ich. Ich hab Schleim im Hals und muss husten, wobei rote Pünktchen auf meine Haus- und Nicks Sportschuhe sprühen.
Zu Moms Schluchzen im Hintergrund warte ich auf Nicks diesbezüglichen Kommentar: Ekelig!, aber nichts kommt.
»Sylvie, ruf Misty an. Sie weiß, was wir tun müssen«, bellt Dad. »Joe, Eis im Plastikbeutel. Nick, noch ein Handtuch.«
Standardversorgung bei Nasenbluten. Ich wusste gar nicht, dass Dad medizinische Kenntnisse hat, die über die Behandlung von Giftefeu-Verletzungen bei Pfadfindern hinausgehen. Als Joe zurückkommt, zeigt Dad ihm, wo er den Eisbeutel hinhalten soll, und geht raus, um nach Mom zu sehen.
Joe raunt mir ins Ohr: »Dein Timing ist beschissen. Mom wollte dir einen perfekten Heiligabend bescheren. Sie und Meredith haben alles geplant, und jetzt musst du’s versauen. Wie hält Meredith das nur mit dir aus? Fällst von Brücken und blutest alles voll!«
Die gefakte Anmache soll die Zeit vertreiben, und ich bin ihm dankbar dafür. Joe erzählt mir von einer Verabredung, bei der das Mädchen ihn zwischen Hauptgang und Nachspeise vollgekotzt hat. Als Nick von der anderen Seite des Tisches aus lacht, wird mir klar, dass alle um mich rum stehen und nur darauf warten, dass ich aufhöre zu bluten. Wie so oft in letzter Zeit warten alle darauf, dass der gute Daniel sich sortiert und anständig weitermacht.
Die Blutung stoppt, und Joe und Dad bringen mich ins Schlafzimmer, wo sie aus mit Handtüchern umwickelten Kissen einen Sultansthronaufgeschichtet haben. Ich schlafe schon halb, während sie mich in die richtige Position drapiert haben.
Merediths Stimme dringt aus dem Wohnzimmer in mein Bewusstsein. Ich hoffe, das ist nicht nur ein Traum.
»Kann ich reinkommen?«, fragt sie von der Tür aus.
»Frag lieber die Grenzpatrouille, ob du die grippefreie Zone betreten darfst«, antworte ich. »Ich bin im Moment nicht ansteckend.«
»Deine Mom meint, es wäre okay.«
»Wie ich höre, seid ihr jetzt beste Freundinnen.«
Sie zieht den Schreibtischstuhl ran, damit sie mich angucken kann. »Frohe Weihnachten – Merry Christmas.« Sie kämpft mit den Tränen.
»Meredith Christmas, meinst du wohl.« Ich will, dass sie lacht. »Das war doch nur Nasenbluten.«
»Tut mir leid.«
»Tutmirleid ist wieder da?«, erinnere ich sie. »Und keine Brücke in der Nähe,
tz-tz
!«
Diesmal lacht sie tatsächlich, wenn auch nur, um mir einen Gefallen zu tun. Ich versuche, mich munter zu geben, obwohl diese Art von Rückschlag unsere Pläne für zehn kontrollfreie Ferientage in ihrem Haus wahrscheinlich zunichtemacht.
»So viel zu Fernsehen und Popcorn in eurem Keller, während deine Mutter arbeitet.«
Sie antwortet nicht gleich, und ich denke, dass sie vielleicht denkt, ich würde mich wirklich nur für Fernsehen und Popcorn interessieren. Was weiß ich schon, wie man einem Mädchen, na ja, ein eindeutiges Angebot macht. Es ist zwei Monate her. Sie muss doch wissen, wie sehr ich sie will. Krampfhaft überlege ich, ob ich ihr direkt etwas in der Art gesagt oder mich unbewusst so verhalten habe, dass sie denken könnte, ich würde keine Wiederholung wollen.
Als sie dann endlich spricht, ist ihre Stimme ganz leise. »Wegen der
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