Fänger, gefangen: Roman
Ferien wollte ich dich schon anrufen.«
Nach dieser Einführung rutscht meine Laune in den Keller. Auf solche Worte kann nichts Gutes folgen.
»Daniel, es tut mir wirklich leid. Ich werde nun doch nicht hier sein. Dad hat angerufen, und Juliann und ich müssen nach Colorado und ihn in den Ferien besuchen.«
Ich bin so erleichtert, dass ich loslache. »Er muss gehört haben, mit wem du zusammen bist.«
»Ja, genau. Daniel Solstice Landon, Superclown, definitiv nicht der richtige Umgang für mich. Mein Dad macht sich Sorgen.« Sie massiert meine Füße, drückt mit den Fingern jeden einzelnen Zeh, streicht unter die Fußwölbung und wieder zurück.
Das fühlt sich unglaublich an. Ich lege den Kopf auf die Kissen und stelle mir vor, was passieren könnte, wenn wir allein wären, richtig allein. Ich sehe mich im Bett liegen und Meredith vor mir auf den Knien, die Hände auf meinem Körper, und wenn sie mit meinen Füßen fertig ist, streicht sie an den Beinen nach oben. Es ist erstaunlich, dass ich mich so gut fühlen kann, nachdem es mir vor einer Stunde noch dermaßen beschissen ging. Das hier könnte sehr schnell außer Kontrolle geraten.
»He, lass das. Ich bin kein Krüppel.«
Sie zieht die Hände zurück und erstarrt.
»Wie lange?«, will ich wissen.
»Neun Tage.«
»Tja, dann ...«, stöhne ich. »Die ganzen verdammten Ferien! Er hat mich wirklich auf dem Kieker. Frohe Weihnachten, Daniel.«
»Das hat doch nichts mit dir zu tun. Wahrscheinlich hat er gedacht, es ist das, was von einem geschiedenen Vater in den Weihnachtsferien erwartet wird. Das sind die ersten Ferien seit der ...«
»Und was war mit Thanksgiving?«
»Da hat Mom uns hingeschickt wegen ihres Jobs.«
»Ach, das spielt jetzt auch keine Rolle mehr«, sage ich zu ihr. »Wie es aussieht, stecke ich sowieso die ganze Zeit hier fest. Auch ohne dass Eltern dabei mitmischen.«
Von irgendwoher zieht sie einen samtenen Beutel hervor und legt ihn wie ein Hündchen in ihren Schoß. Eine Minute lang beobachte ich, wie sie ihn streichelt, und das Kribbeln steigt mir wieder die Beine hoch. Dann steckt sie eine Hand in den Beutel und zieht ein flaches Päckchen mit einer kleinen Schleife raus. Sie legt es mir in die Hand.
»Mach’s auf.«
Ich fummele mit einer Hand am Geschenkband herum, mit der anderen halte ich den Eisbeutel auf meiner Nase fest. Ich komme nicht weit, also lege ich den Beutel weg und sehe mir erst einmal lange dieses Mädchen an, das mich noch nicht aufgegeben hat. Was für ein verqueres Glück! Es ist ein Holden-artiger Moment. Wie gerne würd ich jetzt die Tür zustoßen und Meredith in die Arme nehmen! Ihr jedes einzelne Kleidungsstück ausziehen und sie für immer in mein Gedächtnis brennen. Wenn sie morgen abreist, hab ich Angst, dass sie nie mehr zurückkommt oder ich in der Zwischenzeit sterbe und nie wieder die Gelegenheit bekomme.
»Hab ich dir je gesagt, dass ich dich liebe?« So, mit verstopfter Nase, klingt meine Stimme fremd und eigenartig.
Ohne den Blick von mir zu lösen, holt sie neun weitere identische Päckchen aus dem Beutel und legt sie neben mir auf die Bettdecke.
»Daniel Landon, wenn du wieder Nasenbluten kriegst, bevor du meine Geschenke ausgepackt hast, werd ich dir das nie verzeihen.«
Ich beiße das Band durch. Das Einwickelpapier klappt auf. Ich sehe eine Kassette mit einem schmalen, weißen Etikett. In Merediths seltsam schnörkeliger Schrift steht dort: DOKTOR SCHIWAGO, BAND 1.
»Du hast das Buch gelesen und aufgenommen?«
»Auf Englisch.«
»Dachtest du etwa, ich kann kein Russisch?« Ich halte das nächste Päckchen hoch. »Band zwei?«
Sie nickt und lächelt und lacht, alles gleichzeitig. »Es sind zehn. Juliann sagt, sie kann nichts mehr von Schneestürmen hören. Du kennst es doch noch nicht, oder?«
»Nein«, sage ich. »Die Frage ist nur, ob das für die neun Tage reicht, die du weg bist.«
Nach einem lauten Klopfen steckt Joe seinen Kopf kurz in den Türspalt und zieht ihn wieder zurück. Durch die geschlossene Tür sagt er: »Mom und Dad sind spazieren gegangen.« Kein so schlechter großer Bruder.
Als er das nächste Mal klopft, ist Meredith neben mir eingeschlafen. »Daniel«, raunt er, ohne die Tür zu öffnen.
Meredith dreht ihren Kopf auf meiner Schulter und küsst mich auf den Hals. »Tu so, als ob du schläfst«, flüstert sie.
Joes Stimme wird lauter. »Daniel. Sie sind zurück. Und Merediths Mutter hat angerufen.«
»Mist«, sagt Meredith und küsst mich erneut.
Als
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