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Fahr zur Hölle Mister B.

Fahr zur Hölle Mister B.

Titel: Fahr zur Hölle Mister B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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natürlich mit den Engeln verschwunden und würde fortan in einem Dasein der Glorie und Freude existieren, wie es mir niemals vergönnt sein würde.
    Während ich noch halb von Sinnen dort stand, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich niemals zur Klasse der Engel gehören würde. Niemand würde mich je bewundern und mir Hosianna singen. Und da ich meinem elenden, schändlichen Dasein niemals entrinnen konnte, beschloss ich, dass ich mir allergrößte Mühe geben wollte, zum größten Übel zu werden, das die Hölle jemals hervorgebracht hatte. Ich wollte wie Quitoon sein, nur 1000-mal stärker. Ich wollte ein Zerstörer sein, ein Peiniger, die Stimme des Todes in den Palästen der Großen und Guten. Ich wollte jede Form holder Unschuld zerstören: Kleine Kinder, Jungfrauen, liebende Mütter, gütige Väter, treue Hunde, Singvögel und ihre fröhlichen Lieder. Sie alle sollten vor mir niederfallen.
    Verbreiteten die Engel das Licht, so wollte ich dessen Abwesenheit sein. Ich wollte etwas sein, das mehr erahnt als gesehen wurde, eine Stimme, die nicht in Worten sprach, sondern in Abstufungen von Schatten. Meine beiden Hände – die Hände, die ich jetzt gerade vor Ihnen hochhalte – sollten mit Freuden die simplen Grausamkeiten begehen, die mir helfen konnten, nicht zu vergessen, wer ich war, bevor ich zur Inkarnation der Dunkelheit wurde. Ich wollte Augäpfel mit den Daumen herausquetschen, Nervenstränge mit den Fingernägeln herausreißen, Herzen zwischen meinen Handflächen zerquetschen.
    Ich sah das alles nicht so, wie ich es aufgeschrieben habe, eines nach dem anderen, sondern alles gleichzeitig, sodass ich eben noch der Jakabok Botch war, der vor wenigen Minuten die Metzgerei betreten hatte, und im nächsten Augenblick die Personifizierung von Mord und Verrat. Täuschung und Bigotterie und wissentliche Unwissenheit; ich war Schuld, ich war Gewinnsucht, ich war Rache; ich war Verzweiflung und Hass und Korruption. Im Lauf der Zeit würde ich zu Steinigungen am helllichten Tag und Lynchjustiz im Schutze der Mitternacht aufrufen. Ich würde Kinder lehren, wie sie die schärfsten Steine finden konnten, und junge Männer, wie man Schlingen knüpft, die ganz langsam erdrosselten. Ich würde mit Witfrauen am Herd sitzen und in die Flammen starren, die im Herd züngelten, ich würde sie bitten, mir zu verraten, welche Erscheinungsformen der Uralte in den Zeiten vor Anbeginn der Zeit angenommen hatte, damit ich genau wusste, welche Gestalt ich annehmen musste, um die Eingeweide noch ungeborener Opfer mit Grauen zu erfüllen.
    Und wenn ich am Ende Gott war – das soll heißen, wenn das Große Rad des Daseins, das sich ewig dreht, ewig erwählt, alle edleren Seelen als meine aufgebraucht hatte und mir meinen Tag als Gottheit gewährte –, dann würde ich wissen, wie ich Ihre gesamte Rasse mit Schatten von Schrecken, die eure Vernunft nicht zu begreifen vermag, in den Wahnsinn treiben kann.
    War es möglich, dass ich in der kurzen Zeitspanne, in der die widerliche Schar der Engel die Metzgerei gestürmt, Quitoon vertrieben, die Seele des Pastetenmannes geholt und mit an einen Ort der Perfektion genommen hatten, der mir verschlossen bleiben würde, das beklagenswerte Geschöpf abgestreift hatte, das ich gewesen war, ein elender Feigling in der Benommenheit unerwiderter Liebe, und zum Inbegriff grenzenloser Abscheulichkeiten mutiert war?
    Nein. Natürlich nicht. Der Jakabok Botch, dessen Existenz eben erst begonnen hatte, reifte schon seit mehr als einem Jahrhundert im Schoße meiner Wut und wuchs heran wie ein Kind, das ich allen Naturgesetzen zum Trotz empfangen hatte. Und in diesem schäbigen Fleischladen, wo die Blicke der Fliegen auf mir ruhten, ließ ich dieses abstoßende Kind seinen Vater töten, so wie ich meinen getötet hatte. Und jetzt war es befreit, gnadenlos und unerbittlich.
     
    Sie sprechen jetzt mit eben dieser Kreatur. Dem mordlüsternen, verkommenen, rachsüchtigen, hasserfüllten Anstifter öffentlicher Gemetzel und familiärer Gewalt; dem Vergewaltiger, dem Würger, der Gottheit der Aasfliegen und ihrer Madenbrut, der Abscheulichste unter den Abscheulichen. In meinem neuen Säuglingsdasein war ich von aller abgeschmackten Weisheit des Alters geheilt. Und ich schwor mir, dass ich nie wieder in dieses traurige Dasein zurückfallen wollte. Fortan sollte ich für immer dieses rohe, feuchte Kind sein, eine toxische Quelle, die vielleicht klein war, aber dafür unablässig sprudelte, bis sie jedes

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