Fahr zur Hölle
Ansprüchen. Schlafzimmer und Bad oben. Küche, Esszimmer, Wohnzimmer und Arbeitszimmer unten. Ich zog in das Haus ein, als meine Ehe mit Pete in die Brüche ging. Ein Jahrzehnt später wohne ich immer noch dort.
Nachdem ich nach mehr als einem Jahrzehnt plötzlich wieder Single war, hatte ich das Häuschen quasi zur Überbrückung gemietet. Ist es Zufriedenheit? Faulheit? Motivationsmangel? Nach diesen zehn Jahren nenne ich es immer noch mein Zuhause.
Nachdem ich alles verriegelt hatte, kehrte ich an meinen Laptop zurück.
Völlig umsonst. Wie die anderen Sites hatte auch NamUS nichts über Gamble oder Lovette.
Frustriert gab ich auf und sah nach meinen E-Mails.
Siebenundvierzig Nachrichten. Mein Blick wanderte zu Nummer vierundzwanzig.
Ein Bild wie ein Blitzlicht. Andrew Ryan. Lieutenantdétective, Section des Crimes contre la Personne, Sûreté de Québec. Groß, schlank, sandblonde Haare, blaue Augen.
Ich bin forensische Anthropologin für das Bureau du Coroner in La Belle Province. Das läuft genauso wie hier für den MCME. Ich komme ins Institut, wenn ein Anthropologiegutachten erforderlich ist. Ryan ist Mordermittler bei der Provinzpolizei Quebecs. Schon seit Jahren arbeiten Ryan und ich zusammen, er ermittelt und ich analysiere die Opfer.
Hin und wieder haben wir auch miteinander gespielt. Und Ryan spielt sehr gut mit anderen. Vielen anderen, wie sich zeigte. Seit fast einem Jahr waren Ryan und ich schon kein Thema mehr.
Im Augenblick nahm Lily, Ryans einziges Kind, mal wieder an einem Drogen-Rehabilitierungsprogramm in Ontario teil. Daddy hatte sich Urlaub genommen, um bei seiner Tochter sein zu können.
Ich las Ryans E-Mail.
So witzig und charmant er auch sein mag, ist Monsieur le Détective, was schriftliche Kommunikation angeht, kein Victor Hugo. Er schrieb, dass es ihm und Lily gut gehe. Dass seine wochenweise angemietete Wohnung beschissene Rohre habe. Dass er anrufen werde.
Ich antwortete entsprechend. Keine Nostalgie, keine Sentimentalität, nichts Persönliches.
Nachdem ich die Mail abgeschickt hatte, saß ich einen Augenblick da und spürte, wie sich mein Magen zusammenzog.
Und die Vernunft sich verabschiedete.
Ich wählte Ryans Handynummer. Er meldete sich nach dem zweiten Läuten.
»Ruf einen Klempner.«
»Merci, Madame. Ich werde Ihren Vorschlag ernsthaft in Erwägung ziehen.«
»Wie geht’s Lily?«
»Wer weiß das?« Ryan seufzte. »Die Kleine sagt all die richtigen Sachen, aber sie ist gerissen und eine Meisterin im Manipulieren. Was gibt’s Neues in North Carolina?«
Ich erzählte Ryan von dem Sandgruben- und dem Deponiefall. Über die Nähe der Deponie zum Charlotte Motor Speedway. Über mein Gespräch mit Wayne Gamble.
»Gamble ist Wagenheber in Sandy Stupaks Team?«
»Ja.«
»Der Sprint-Series-Fahrer?« Endlich klang Ryan ein kleines bisschen lebhaft.
»Sag bloß, du bist NASCAR-Fan.«
» Bien sûr, Madame. Na ja, um genau zu sein, bin ich Fan von Jacques Villeneuve. Früher habe ich mir Indianapolis und die Formel Eins angeschaut. Als Villeneuve zur NASCAR wechselte, bin ich ihm gefolgt.«
»Wer ist Jacques Villeneuve?«
»Im Ernst?« Ryan klang gründlich schockiert.
»Nein. Ich will nur testen, ob du mich auf den Arm nimmst.«
»Jacques Villeneuve gewann 1995 die CART-Meisterschaft und die Indianapolis 500 und siebenundneunzig die Formel-Eins-Weltmeisterschaft, was ihn zusammen mit Mario Andretti und Emerson Fittipaldi zum erst dritten Fahrer macht, der das geschafft hat.«
»Was ist CART?«
»Championship Auto Racing Teams. Ist kompliziert, aber das war der Name einer Rennserie für Autos mit unverkleideten Rädern, wie sie in Indianapolis fahren. Inzwischen existiert die Gruppe unter diesem Namen nicht mehr.«
»Aber du redest jetzt nicht von Stockcars?«
»Kaum.«
»Ich hänge mich jetzt weit aus dem Fenster und vermute, dass Villeneuve Quebecer ist.«
»Geboren ist er in Saint-Jean-sur-Richelieu und hat immer noch ein Haus in Montreal. Du kennst die Strecke auf der Île Notre-Dame?«
Ryan meinte die Rennstrecke im Parc Jean-Drapeau auf der Île Notre-Dame, einer künstlichen Insel im Saint Lawrence. Jedes Jahr kann man während der Grand-Prix-Woche das Jaulen der Formel-Eins-Motoren sogar noch meilenweit entfernt in unserem Institut hören.
»Ja«, sagte ich.
»Jacques’ Vater Gilles fuhr ebenfalls Formel Eins. Er kam beim Qualifying für den belgischen Grand Prix 1982 ums Leben. In diesem Jahr wurde die Rennstrecke auf der Île Notre-Dame zu
Weitere Kostenlose Bücher