Fahrt ohne Ende
mitnehmen, manche brauchst du kaum anzuwinken, dann halten sie schon. Und dann hockst du in einer piekfeinen Luxuslimousine, oder du stehst hinten auf einem Laster, die Haare wehend im Fahrwind, vor dir, immer näher heranrückend: das Ziel. Denn darauf kommt es ja an, daß wir unserm Ziel näher kommen; das abenteuerlich-verwegene Unterwegssein ist etwas Großartiges, aber es ist nicht das Letzte.
* * *
Wolf und Jürgen hatten heute morgen die Hauptstraße und damit die Kameraden verlassen.
Ihr Kaplan hatte sie vor der Fahrt gebeten, dem ihm befreundeten Pastor in einem kleinen schwäbischen Dorf einen Brief zu überbringen. Auf einer Nebenstraße waren sie durch eine Reihe kleiner Dörfer und Städtchen marschiert und hatten sich über die prächtigen^ alten Wirtshäuser, Torbogen und Brunnen gefreut: hier wurde das bürgerliche Mittelalter lebendig. Gegen Mittag hatten sie ihr Dorf erreicht, den Herrn Pastor aufgesucht, ihm den Brief übergeben, und natürlich hatten sie ordentlich futtern müssen.
Soweit war alles wie gewöhnlich gegangen. Doch dann war etwas geschehen, das — so alltäglich es eigentlich war — für Jürgen und Wolf eine der schönsten Stunden ihrer Großfahrt bedeutete. Der Pastor nahm sie mit in die kleine Barockkirche des Dorfes. Es war keine von den weltbekannten und von Touristen bevölkerten Sehenswürdigkeiten, sondern eine einfache Dorfkirche, die Stiftung irgendeines kleinen Fürsten aus der Umgebung. Doch diese kleine Kirche inmitten des friedlichen Dorfes und des stillen Sommernachmittages war für die beiden Jungen etwas so Feines, daß sie sich einfach nicht von ihr trennen konnten, schon gar nicht, als ihr Gastgeber ihnen die Orgel vorführte.
»Das ist Johann Sebastian Bach, und unser Pastor spielt ihn ganz meisterhaft«, flüsterte Jürgen dem Kameraden zu.
Sie saßen stundenlang und hörten zu und sahen, wie die Sonnenstrahlen langsam weiter durch die kleine Kirche und über die golden strahlenden Barockfiguren wanderten.
Es war Spätnachmittag, fast schon Abend, als sie sich von dem Pastor verabschiedeten und weiterzogen. Nach ihrer Karte mußten sie ein paar Kilometer hinter dem Dorf auf eine größere Straße stoßen, würden dann sicher heute abend noch einen Wagen bis zur Hauptstraße erwischen und so spätestens morgen Nachmittag bei der Gruppe sein, übermorgen sollte dann der Marsch quer über die Berge und durch den Wald zu ihrem Lagerplatz bei Pits Onkel gehen.
Nach 5 km meinte Wolf:
»Jetzt müßten wir eigentlich bald die größere Straße haben.«
Sie fragten einen Bauern.
»Eine richtige Straße sucht ihr? Nein, die ist bloß geplant, gebaut ist die noch nicht.«
Da standen sie nun. Jürgen warf den Affen ‘runter und breitete die Karte aus.
»Der direkte Weg von hier bis zur Hauptstraße ist 30 km.«
»30 km? Die können wir doch laufen heut nacht, nicht? Dann sind wir morgen früh an der Straße und morgen abend bei der Gruppe.«
»Schön wär‘s ja, aber...«
»Nichts aber. Bitte, laß uns heut nacht durchtippeln, ich bin noch nie eine ganze Nacht draußen gewesen. Und ich mach‘ bestimmt nicht schlapp!«
»Gut. Dann tippeln wir heut nacht.«
Sie machten eine kurze Rast, verringerten ihren Proviant noch etwas und brachen dann auf. In den ersten Stunden war dieser Marsch eine leichte Freude; die Affen trugen sie nun so lange, daß sie sie kaum noch als Last empfanden, die Beine nahmen den Weg wie von selbst unter die Füße, und es gab so viel Neues, nie ^ Erlebtes zu sehen und zu spüren: der Nachtwind bewegte die Wipfel der Fichten zu beiden Seiten der Waldstraße, von der Waldhöhe her rief ein Käuzchen, irgendwo unten im Tal bellte ein Hund, dort waren auch ein paar Lichter; also ein Dorf. Und über ihnen und über dem Wald und dem Tal standen sehr fern und zugleich doch tröstlich nah die Sterne des Himmels.
Um Mitternacht mußten die Jungen diese Waldstraße verlassen. Sie machten für eine Viertelstunde halt, aßen etwas, und Jürgen leuchtete mit der Taschenlampe auf der Karte herum.
»Ich hab‘s. Es sind noch 15 km, teilweise ziemlich bergig. Schaffen wir das?«
»Klar!«
Und Wolf nahm den Affen wieder auf. Die Sterne waren jetzt verdeckt, es wurde beinahe nebelig, und man empfand die immer größer werdende Feuchtigkeit der Luft. Etwa nach einer Stunde begann es zu regnen, langsam erst.
»Wenn‘s doch richtig drauflosregnete!«
»Warum?«
»Dann würd‘s auch bald wieder aufhören. So regnet es garantiert die
Weitere Kostenlose Bücher