Fahrt ohne Ende
waren: Jiu-Jitsu und Judo-Griffe — »damit wir bei den Straßenkämpfen nächstens keinen Schlagring nötig haben«, meinte Hepp ein bißchen zynisch — und Stockfechten, wovon Wolf ziemlich begeistert war.
Ein großes Match zwischen Teddy (einem Jungen aus Alfs Horte) und Wolf war die »Krönung des unermüdlichen Trainings«, wie Pit sagte.
Tim meinte dazu: »Das setzt dem Faß die Krone auf, soll das heißen.«
Es war toll, wie die beiden, Teddy und Wolf, blitzschnell ihre Ausfälle, Finten und Gegenschläge führten; was Teddy Wolf an Training voraus hatte, machte der durch seinen Eifer wett.
Die ganze Meute stand um die beiden herum und schrie: »Ja, gib‘s ihm«, »Gut so«, »Ran, Teddy«, »Schneller parieren, Wolf!« Alf als Schiedsrichter konnte sich gar kein Gehör mehr verschaffen.
Schließlich brachte Teddy Wolf einen Volltreffer auf der Brust bei, man konnte den roten Striemen auf der nackten Haut aufglühen sehen.
»Au, der saß aber«, schrie Klaus voll Sorge, Wolf schlug entsprechend verwegen zurück, um die Scharte wieder auszuwetzen, Teddy parierte vollendet, Wolfs Stock zersplitterte in zwei Stücke. Aber aufgeben? Nein, kam gar nicht in Frage. Und was dann kam, war eine wüste Rollerei.
Alf lachte: »Ihr habt zu heißes Blut für einen so kühlen Sport, Schluß!«
Für den Rest des Tages waren Teddy und Wolf nicht mehr voneinander zu trennen, sie hatten bei dem Kampf Gefallen aneinander gefunden.
Am Abend saßen sie alle zusammen noch lange in der einen Kothe. Es war ein bißchen eng, aber daran dachte keiner. Sie sangen, und dann mußte Alf erzählten.
»Das kannst du ja doch noch besser als Jürgen«, meinte Wolf kritisch.
Zum Schluß erzählte Alf ein Märchen, »ein Märchen, das leider oft Wirklichkeit ist«, sagte er vorher, »ich hab‘ es aus einem Buch von Manfred Kyber. Also:
Ein kleiner Vogel saß in seinem Käfig und sah mit sehnsüchtigen Augen in die Sonne. Es war ein Singvogel, in einem Kulturstaat, wißt ihr, jedenfalls in einem, der sich so nannte.
In blauer Ferne standen blaue Berge.
Hinter den Bergen liegt der Süden, wußte der kleine Vogel.
Immer näher schienen ihm die fernen Berge. Immer mächtiger lockten sie. Die Sehnsucht schien die fernen Berge ganz nah vor die Gitterstäbe des Käfigs zu rücken. Sie sind so sehr nah, dachte der Vogel, wenn nur die Gitterstäbe nicht wären. Wenn die Tür des Käfigs sich nur einmal öffnete — ein einziges Mal. Dann käme der große Augenblick, und ich wäre mit ein paar Flügelschlägen hinter den blauen Bergen.
Am Herbsthimmel zogen die Kraniche. Lockend klang ihr Schrei, ihr Ruf nach dem Süden.
Sie verschwanden hinter den blauen Bergen.
Der kleine Vogel rannte gegen die Gitterstäbe des Käfigs. Dann kam der Winter. Der kleine Vogel wurde still. Die Berge wurden grau. Und der Weg nach dem Süden war kalt und neblig. Es kamen viele Winter und Sommer. Die Berge waren blau oder grau. Und die Kraniche zogen nach Süd oder Nord. Der kleine Vogel hinter den Gitterstäben wartete auf den großen Augenblick.
An einem sonnigen Herbsttag wurde die Tür des Käfigs offen gelassen. Aus Versehen natürlich, mit Willen tun die Menschen so etwas nicht.
Der große Augenblick war da! Der kleine Vogel zitterte vor Freude und Erregung. Er flatterte aus dem Käfig heraus. In blauer Ferne standen blaue Berge. Aber sie schienen jetzt sehr fern. Zu fern für die Flügel, die sich jahrelang nicht mehr geregt hatten. Noch einmal nahm der kleine Vogel alle seine Kraft zusammen und flog auf.
Er kam nur bis zum nächsten Ast. Waren die Flügel verkümmert im Laufe der Jahre oder war es etwas anderes, das in ihm verkümmert war? Er wußte es nicht. Die Berge waren zu fern für ihn. Da flatterte er still in den Käfig zurück.
Am Himmel zogen die Kraniche. Lockend klang ihr Schrei nach dem Süden.
In blauer Ferne standen blaue Berge.
Ater sie lockten den kleinen Vogel nicht mehr. Er steckte den Kopf unter die Flügel. Der große Augenblick war vorüber.«
Für eine Weile schwiegen die Jungen alle.
Dann fragte Wolf: »Woll‘n wir was singen?«
Und sie sangen:
Dann wird getanzt und toll gesungen.
Graues Panier wird stumm bewacht.
Hoch unser Land, hoch seine Jungen,
dj. 1.11 1 , hoch seine Macht.
Am anderen Morgen trennte sich Jürgens Gruppe wieder von der Horte Alfs. Alf mit seinen Jungen wollte noch ein paar Tage hier im Süden bleiben, dann den Rhein entlang nach Haus trampen. Jürgen wollte mit seiner Gruppe quer
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