Fahrt zur Hölle
frei.
Noch einmal beugte sich Tsakalidis über den rot-weißen Balken auf der Wasserseite. Jetzt war nichts mehr zu sehen.
Er zitterte vor Aufregung. Es waren nicht das unwirtliche Wetter, Wind und Regen, die ihn frösteln ließen. Er versuchte, dem Maschinisten, der hoch oben über Deck in seinem achteckigen Fahrstand saß, ein Zeichen zu geben. Aber der Mann sah ihn nicht, sondern konzentrierte sich auf die Entladung.
Tsakalidis überquerte das Deck und stieg beherzt die steile Leiter zur Brücke empor. Mit beiden Händen klammerte er sich am Geländer fest und achtete darauf, dass er auf den regennassen Sprossen nicht abrutschte. Endlich hatte er das kleine Brückendeck erreicht und klopfte an die Tür. Der Schwebefährenführer zuckte zusammen und erschrak. Fast böse kam er zur Tür und öffnete sie.
»Das Betreten ist streng verboten –«, begann er, wurde aber von Tsakalidis mit einer Handbewegung unterbrochen.
»Da hängt einer am Seil hinter der Fähre«, stammelte der Grieche.
»Wo?«, fragte der Mann von der Besatzung und schob gleich hinterher: »Das kann nicht sein.«
»Doch, ich bin mir ziemlich sicher.«
»Ganz bestimmt?«, fragte der Maschinist.
Tsakalidis nickte heftig. »Ich bin mir ziemlich sicher. So sehr kann ich mich nicht täuschen.«
Der Mann von der Fähre griff sich seine wetterfeste Jacke, schnappte sich eine Taschenlampe und folgte Tsakalidis auf das Brückendeck.
»Rückwärts runter«, rief er Tsakalidis zu, der unsicher an der steilen Leiter stand, sich krampfhaft an die Holme klammerte und vorsichtig die glitschigen Stufen hinabtastete. Er folgte dem Fährmann, der über den Anleger zu dem kleinen Wartehäuschen ging, daneben eine Sperrkette aushakte, sich unter einem Geländer durchzwängte und über die feuchte Wiese zur Fähre stapfte, die hier mit ihrer vollen Länge von vierzehn Metern über Land schwebte. Mit der Taschenlampe leuchtete der Mann die Fähre, die Träger und die Halterungen für die acht leuchtend roten Rettungsinseln ab, die auf der Unterseite des Schwebepontons angebracht waren.
»Da ist nichts«, sagte der Fährmann. Deutlich war der Ärger aus seiner Stimme zu hören.
»Doch«, behauptete Tsakalidis. »Hinten.«
Der Mann von der Fähre ging an seinem Gefährt entlang und lenkte den Strahl der Taschenlampe auf die hintere Halterung der Rettungsinseln. Der Lichtkegel fing ein Tau ein, das dort verknotet war. Langsam ließ er den Strahl an dem Nylonseil entlangwandern, das über den Uferrand verschwand. Vorsichtig näherten sich die beiden Männer dem glatten Rand. Viel war nicht zu erkennen, und näher durfte man nicht herantreten, um nicht Gefahr zu laufen, abzurutschen und in das kalte und brackige Wasser zu stürzen.
Der Fährmann kratzte sich den Kopf. »Und nun?«, fragte er.
»Wir können am Seil ziehen«, schlug Tsakalidis vor.
Beherzt packten die beiden Männer an. Das raue Nylon riss ihnen im Nu die Handflächen auf. Es war schwerer als erwartet. Tsakalidis atmete schwer und wollte schon aufgeben, als über dem Uferrand der Kopf eines Menschen auftauchte. Vor Schreck ließ er das Seil los.
»Verdammte Scheiße!«, schrie der Fährmann, der die Last nicht allein halten konnte und dem das ins Wasser zurückgleitende Seil die Handflächen noch tiefer aufriss und verletzte.
»Das … war … ein … Mensch …«, stammelte Tsakalidis. »Wir müssen die Polizei anrufen.«
Er wusste nicht, dass die Sonne erst um acht Uhr und sieben Minuten aufgehen würde. Theoretisch. Doch bei dem trüben Wetter am heutigen Tag war das nur ein statistischer Wert. Tsakalidis sah auf die Uhr. Eigentlich sollte er schon bald mit seinem Setra auf der Linie 3250 von Rendsburg Richtung Todenbüttel unterwegs sein.
Mit zittriger Hand wählte er die Eins-Eins-Null und wurde mit der Leitstelle Kiel verbunden. Umständlich berichtete er von dem Fund. Der Beamte fragte nach seinem Namen, dem genauen Fundort und sicherte zu, dass die Einsatzkräfte in Kürze eintreffen würden.
Wenig später tauchten die ersten Blaulichter auf. Der Streifenwagen kam vom Rendsburger Polizeirevier aus der Moltkestraße. Von der Osterrönfelder Polizei am anderen Ufer konnte er keinen Beamten entdecken. Vermutlich war die Station zu dieser frühen Stunde noch nicht besetzt.
Tsakalidis hatte den Leiter des Betriebshofs angerufen und ihn darüber informiert, dass er heute später kommen würde. Zunächst musste er seine Personalien angeben und von seiner Entdeckung berichten. Das
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