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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Rocker tauchten auf, schoben die dünnen Menschen am Tresen wie eine Gardine beiseite und bestellten ein paar Bier. Für sie war das fernfahrerkneipenhafte White Trash der einzige vertrauenswürdige Ort in der Gegend, sie verstanden nur nicht, was die beknackten Popperkinder mit ihren dicken Brillen hier wollten.
    Takashi begutachtete Theresas Tattoo und schüttelte betrübt den Kopf: Es war ein chinesisches Motiv und außerdem schlecht ausgeführt. »Die Deutschen können nicht richtig stechen«, sagte er und fixierte geistesabwesend den Barkeeper, der mit einem stumpfen Messer in einer Limone herumbohrte, »sie begreifen es einfach nicht.«
    Die Musik wurde lauter.
    Marie griff hinter die Bar in einen Becher, in dem ein Dutzend schwarzer Strohhalme steckte, und klemmte zehn von ihnen zu einem Superstrohhalm zusammen, mit dem sie dem Mann gegenüber seinen Bourbon wegzutrinken versuchte, aber der Superstrohhalm zerfiel, und sie bastelte sich stattdessen aus den Einzelteilen eine schwarzePhilosophenbrille. Ihre blonden Haare standen in einem erstaunlichen Chaos zu Berge. Sie hatte zu viel getrunken.
    »Du siehst gut aus«, schrie sie Hüseyin an. »Du Schöner! Weißt du was? Ich heirate dich einfach.« Sie wickelte sich eine längere blonde Strähne um ihre Nasenspitze. »Nein wirklich. Ich will dich heiraten. Morgen heiraten wir. Ich will ein Kind von dir. Und ich will nicht in Berlin bleiben. Ich finde es ganz schlimm hier. Lass uns durchbrennen. Nach Sankt Moritz.«
    »Warum jetzt nach Sankt Moritz?«, fragte Hüseyin, dem Sankt Moritz nichts sagte.
    »Komm!«, rief Marie und fuchtelte mit den Strohhalmen vor seinem Gesicht herum.»Wir fahren los. Wir sind betrunken, das ist lustig.«
     
    Im Auto schlief sie sofort ein. Hüseyin trug Marie in ihr Zimmer und legte sie angezogen auf ihr Bett. So, wie sie da lag, sah sie aus, als habe man sie aus hoher Höhe abgeworfen. Er schloss die Tür und ging. Dann fuhr er mit dem SL zum Kottbusser Tor.
     
    Es hatte eine Schlägerei gegeben. Selçuk stand neben seinem Wagen und wischte sich Schmutz von der Hand; an seiner Lederjacke klebte Blut. Auf dem Boden lag ein leeres weißes Fläschchen, jemand rieb sich die Augen und schrie herum; sie hatten ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, aber er hatte Tilidin genommen und spürte nichts. Ein paar Schritte weiter stand eine Gruppe um einen jungen Mann, der auf der Straße lag; es war der deutsche Freund von Hüseyins Cousine. Ein paar betrunkene Punks redeten fürsorglich auf ihn ein, einer hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt.
    Die Cousine saß auf dem Gehweg und weinte und schrie, so ein Arschloch, wie könne er nur … er sei ja verrückt …
    Hüseyin verstand nicht ganz, was passiert war, beschloss aber, weil Selçuk noch mit der Polizei reden musste, die Cousine mit dem SL nach Hause zu fahren. Er schaltete Metropol FM ein, sie kannte das Lied und sang den Text mit, Kırılma, / Yapma kalbim, darılma … nedeni var her ş eyin / Suçlu, sorumlu arama . Am Hotel Forum erloschdie rote Leuchtschrift, in der Ferne heulten Polizeisirenen. Dann zog im Osten ein blasses Grau auf, das sich langsam rot färbte; es wurde Tag. Als er die Cousine abgesetzt hatte, fuhr er zurück zu Marie.
     
    Sie schliefen lange. Es war einer der heißesten Sommertage, durch den offenen Fensterspalt drang eine trockene, stickige Hitze, und als er das Fenster ganz öffnete, war es, als halte ihm jemand einen Föhn in den Mund. Draußen tropfte ein klebriger Film von den Linden, die Autoscheiben waren blind, der Lack wie mit Honig überzogen.
    Marie tauchte im Türrahmen auf. Sie balancierte durch die Wohnung, als stünde sie auf einem Seil, trat sich mit dem linken Schuh in die Hacke des rechten, dann mit dem Zeh des rechten Fußes in die Hacke des linken Schuhs. Dann stelzte sie barfuß auf Zehenspitzen ans Fenster; die Schuhe blieben wie verdrehte Füße auf dem weißgestrichenen Parkett liegen. Sie wandte sich zu Hüseyin um.
    »Was magst du machen?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Wir schlafen einfach weiter. Oder wir fahren aufs Land.«
     
    Weil es zum Weiterschlafen zu heiß war, fuhren sie zu einer Freundin von Theresa, die mit ihrem Mann irgendwo in Brandenburg ein Wochenendhaus gekauft hatte.
    Theresa steuerte den Mercedes am Funkturm vorbei, dann tauchten die ersten Kiefernwälder auf. Die Autobahn war fast leer und lag hellgrau in der Hitze. Sie überholten ein paar polnische Lastwagen. Marie lag hinten quer auf den Notsitzen, hängte

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