Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
standen dort am Pool. Ein Mensch mit weißen Hosen und Strandsandalen, auf denen die brasilianische Flagge abgebildet war, redete auf zwei große Mädchen in schwarzen Abendkleidern ein.
Ein älterer Künstler, der Marie Bergsson aus der Galerie kannte, stürzte auf sie zu: Er gehe jetzt gleich mit Freunden essen, Jeffrey Deitch käme auch, ob sie Deitch kenne? Schon ein sehr bedeutender Galerist! Sie könne gern dazukommen, der Jeffrey sei ein guter Freund, er würde sich freuen!
Ein paar Tische weiter saß ein Mann und spießte mit vollendeter Eleganz ein Salatblatt auf. Er trug ein blauweiß gestreiftes Hemd und eine Krawatte mit kostbar aussehnden Arabesken. Seine Brille spiegelte stark, man wusste nicht, ob er den alten Künstler sah oder nicht.
»Das ist Schuster, der Direktor der Berliner Museen«, zischte der alte Künstler finster, »ich wollte, dass er ein Bild von mir kauft, aber er hat es nicht getan.«
Theresa, in schwarzen Stiefeln und Strickjacke, die Haare zu einer schwungvollen Serpentine aufgetürmt, starrte den Künstler an; sie schaute nicht in seine Augen, sondern auf seine Ohren, aus denen weiße Haarbüschel herauswucherten. Der Künstler hatte in den siebziger Jahren einige Erfolge mit heftigen expressionistischen Bildern von verrenkten Körpern gehabt, seit längerem hatte man aber nichts mehr von ihm gehört. Offenbar hoffte er jetzt, von einer jüngeren Generation wiederentdeckt zu werden; er machte Marie ein Kompliment und griff gleichzeitig mit einer knotigen Hand nach ihrem Unterarm.
Eine der Frauen am Pool hob ein Bein, kratzte sich am Knöchel über dem schmalen Lederriemen ihrer Sandale und schaute nach einem jungen Schauspieler mit längeren Haaren, der an der Brüstung derDachterrasse lehnte und auf eine andere Frau einredete. Ein elegant angezogener junger Mann tippte »ich vermisse dich dein T« in sein Mobiltelefon und verschickte die SMS, wie Hüseyin sah, als er von den heraufströmenden Massen gegen seine Schulter gedrückt wurde, gleichzeitig an drei Personen.
Aus dem Apartment kamen ein paar Halbnackte gerannt und sprangen in den Pool; es gab ein allgemeines Raunen in der Menge, irgendwo ging ein Glas zu Bruch. Eine kichernde Delegation von fünf Personen stürmte gemeinsam durch die schmale Toilettentür. Marie Bergsson hatte den Künstler abgeschüttelt und lehnte an der Brüstung der Dachterrasse. Die Luft war warm. Sie angelte mit zwei schmalen Fingern nach dem halbierten Pfirsich, der in ihrem Glas schwamm; zweimal entglitt er ihr, dann ließ sie ihn über die Brüstung in die Tiefe fallen. Er landete auf dem Dach eines alten Trabant.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen ein paar Plattenbauten, deren Dächer auf der gleichen Höhe lagen wie der Pool. Drei Männer in Unterhemden saßen dort auf der Teerpappe, sie hatten einen Kasten Bier aufs Dach geschleppt, den sie fast leer getrunken hatten; sie winkten mit den leeren Flaschen wie eine Gruppe, die in der Wüste eine Autopanne hat, und brüllten: »Wir wollen auch mal baden!« Unter den Gästen am Pool entstand eine kleine Unruhe; die Gesellschaft zog sich einige Meter zurück, bis sie außer Sichtweite war.
Inzwischen hatte der alte Künstler Marie wieder entdeckt und lief mit pathetischen Gesten so schnell auf sie zu, wie seine kurzen Beine es erlaubten. »Meine Liebe«, rief er und breitete seine Arme aus. Ein dicker Chinese verbeugte sich neben ihm. »Ihr kennt euch sicher«, sagte der Künstler. »Das ist Hue, der berühmte Maler, Sie kennen seine berühmten Lachenden – und diese junge Dame ist, wenn ich so sagen darf, der neue Star unter den Nachwuchsgaleristinnen – doch, doch, meine Liebe, keine Widerrede, das ist schon so. Glauben Sie einem alten Hasen.« Er hatte sich einen unterwürfigen Ton zurechtgelegt, klammerte sich aber mit seiner Hand erstaunlich aggressiv an MariesHüfte fest und schob sie über die Terrasse. Sie stießen auf Robert, der einen seltsamen Hang zu großen alten Männern hatte und den Ausführungen des Künstlers ergeben lauschte … wie er damals mit Beuys, einem guten Freund, und Lüpertz … ein feiner Kerl, wirklich –
Eine Frau sprach Marie an; wenn sie etwas sagte, wippte sie am Ende jedes Satzes mit dem Kopf, als müsste sie das Gesagte bekräftigen. »Ich habe Sie immer im Radio gehört«, sagte sie zu Bergsson und nickte zweimal. Es sah vollkommen absurd aus – als habe jemand das Eintreffen einer Mitteilung mit Schlägen gegen den
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