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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Beharrungskraft der Dinge packte ihn; Backsteinstaub drang in seine Lunge, Geschosse, Granatsplitter aus Tapetenresten und Gründerzeitmörtel stoben an seinen betäubten Ohren vorbei, die Luft brannte, und dann gab es einen Ruck, etwas explodierte, seine Maschinenpistole flog kreischend in den Kleiderständer, und im gleichen Moment knallte es gewaltig, ein Blitz zuckte durch die Welt, und er stürzte in eine tiefe Nacht.
     
    Offenbar hatte es einen Kurzschluss gegeben, und offenbar war er von der Leiter gestürzt. Er rappelte sich auf. Im Flur war es jetzt dunkel, aus dem Badezimmer hörte er ein energisches Schwappen. Simoneerschien, noch tropfend, nur in ein weiches, großes Frotteehandtuch gewickelt, an der Unfallstelle.
    »Was ist denn hier los?«, fragte sie ins Dunkel hinein.
    »Nur der Strom ausgefallen«, log er, um Zeit zu gewinnen.
    Er stand auf und lächelte sie an, als sei das Chaos bloß eine Sinnestäuschung von ihr, als hätte jeder der herumliegenden Gegenstände den von ihm bestimmten Platz eingenommen. Dann wickelte er seinen Fuß aus dem Kabelsalat, der ihn an die umgekippte Leiter fesselte, barg die Bohrmaschine aus dem umgestürzten Kleiderständer (der orientierungslos durch den Raum trudelnde Bohrer hatte einen tiefen Riss in ihrem Kostas-Murkudis-Mantel hinterlassen und danach wütende Pirouetten auf das Fischgrätparkett gefräst, aber das konnte sie wegen der mangelhaften Lichtverhältnisse glücklicherweise nicht sehen) und hievte den Bisonkopf in die Höhe der Wand, aus der dankenswerterweise der abgebrochene Bohrer wie eine ordnungsgemäß angebrachte Schraube herausragte.
    Der Bisonkopf hatte hinten, wo früher das Bisongehirn gewesen war, einen Haken. Berger stemmte den Schädel nach oben, und der Bison rastete nach einer kurzen Sekunde des Zögerns ein.
    »So«, sagte er und bemühte sich, zu schauen wie ein Mann, der weiß, was er tut. Es sah aus, als sei der Bison soeben mit dem Kopf durch die Wand gerannt.
    »Ouahhh!«, schrie Simone und machte einen Satz rückwärts. »Das ist nicht dein Ernst! Möchtest du vielleicht noch zwei gekreuzte Säbel unter dieses Ding hängen? Was wird denn das hier, Hermann Görings Jagdsitz oder wie?«
    Berger versuchte, mit einem Zeh unauffällig den beschädigten Mantel über das zerstörte Parkett zu zerren. Seine depressive Gemütslage verschob sich ins Aggressive. Der schiefhängende Bison, die grimmige Frau und das Bewusstsein, dass er einen Fehler gemacht hatte, aktivierten ein Selbstverteidigungsprogramm in seinem Gehirn. Obwohl er wusste, dass es die Situation nicht entschärfen würde, hörte er sich gegen seinen Willen sagen: »Es ist ja bekanntlich noch die Frage, wer hier aus einer Nazikolonialfamilie …«
    »Du sollst nicht so über meine Familie reden«, schrie Simone. Ihre Großeltern waren 1947 für ein paar Jahre nach Uruguay gegangen, was immer das bedeuten mochte, und weil sie es nicht wusste, machte sie das Thema nervös. Sie ging, kleine Pfützen hinterlassend, ein paar Schritte zurück und griff resolut in den Sicherungskasten. Das Licht ging wieder an und fiel auf die erschreckten Dinge.
    »Was hast du denn mit deiner Stirn gemacht?«
    Der dunkelrote Abdruck des Black-&-Decker-Bohrers prangte wie ein seltsames, pfeilförmiges Zeichen, eine Art Umleitungsschild, auf seiner Stirn. Aber bevor er etwas dazu sagen konnte, hatte sie den Mantel entdeckt und an sich gerissen, wodurch auch das malträtierte Parkett sichtbar wurde. Gleichzeitig kam ein ächzender Laut von der Wand. Der Bison machte ein Geräusch, als sei ihm nicht wohl, und senkte den Kopf.
    »Ich glaube es nicht! Mein Lieblingsmantel! Es ist … das … ist doch …«
    Ihr Ärger brauchte einen Halt, einen Blitzableiter, über den ihre ungeheure Wut entweichen konnte, und da alles, woran man sich hätte festhalten können, bereits umgekippt war, griff sie nach einem grünen Spielzeugdinosaurier und feuerte ihn gegen die Wand.
    Genau diese Detonation beendete die ohnehin fragile Allianz des abgebrochenen Bohrers mit dem morschen Aufhänger des Bisonkopfes. Der Bison senkte die Hörner, als wollte er sich auf die Streitenden stürzen, und krachte senkrecht zu Boden. Ein handtuchgroßes Stück Putz folgte dem Tierschädel; die Wand sah jetzt tatsächlich so aus, als sei das Tier durch sie hindurchgebrochen.
    Simones Badetuch hatte sich gelöst. Sie stand nackt neben dem Bisonkopf auf einem weißen Schaffell. Er hatte Lust, mit ihr zu schlafen, aber das war nicht der

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