Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
sie doch nicht einfach so zum Essen …«
Lehnert lehnte sich, so weit es ging, in seinem Bürostuhl zurück und machte ein aufgeräumtes Gesicht.
»Geh einfach in ihr Büro und sag etwas Böses über Frau Stoltenberg. Mit der hat sie sich heute Morgen richtig in die Wolle gekriegt. Immer taktisch gut, wenn man einen gemeinsamen Feind ausmachen kann.«
Er gingzu Janna Bissheimer. Sie war Juristin, etwa dreißig Jahre alt und neu in der Firma; dem Akzent nach kam sie irgendwo aus Rheinland-Pfalz. Sie hatte ein großes rundes Gesicht, streng zur Seite gekämmtes Haar und weiche Arme, die sich unter ihrer Seidenbluse abzeichneten. Sie kleidete sich konservativer, als das Unternehmen es verlangte. Berger stellte ihr eine europarechtliche Fachfrage, die er sich sorgfältig zurechtgelegt hatte, und ließ dann eine böse Bemerkung über Frau Stoltenberg fallen, die er kaum kannte. Es funktionierte. Jannas Miene hellte sich auf. Sie beugte sich über den Tisch und flüsterte ihm mit einem unheilvollen Glitzern in den Augen zu: »Wissen Sie was? Ich hasse diese blöde Kuh.«
Sie verabredeten sich für den Abend auf einen Drink. Als sie sich später am Parkhaus trafen, fiel ihm ein, dass er nicht mit dem Mercedes gekommen war. Janna Bissheimer stand vor der Heckklappe ihres Fiats und durchwühlte den Kofferraum, offenbar suchte sie etwas. Auf dem vorderen Kotflügel stand in einer kunstvollen Kringelschrift »Luigi«.
»Das ist also der Luigi?«, sagte Berger.
»Ja«, strahlte Janna Bissheimer. »Das ist der kleine Luigi.«
Sie musste noch einmal ins Büro zurück; das gab ihm einen Vorsprung von drei Minuten, um die deutlichsten Spuren seiner Familienexistenz aus dem Wagen zu beseitigen. Er schickte Simone eine SMS, in der »Sorry, Arbeitsessen, call you ltr« stand, baute den Kindersitz aus, warf ihn hinter die dritte Sitzbank und versuchte, die lächelndeStoffente, die Simone für Karl an die Kopfstütze des Beifahrersitzes geknotet hatte, zu entfernen. Die Ente war allerdings mit einem Doppelknoten befestigt; als er hektisch an ihren Beinen zog, riss ein Fuß ab. Im gleichen Moment tauchte Janna Bissheimer wieder in der Tiefgarage auf, ihre Absätze klackerten metronomartig auf dem Beton. Er stand da, mit einer amputierten Ente in der Hand, die tapfer weiterlächelte, als wollte sie sagen, egal was du tust, wir haben dich lieb. Fassungslos starrte Berger auf den kleinen roten Fuß, der an einem dünnen Faden baumelte. Eine Welle schlechten Gewissens stieg in ihm auf und fraß sich in seine wütende Entschlossenheit hinein, sich ein Abenteuer zu gönnen – und vor die herankurvende Janna Bissheimer schob sich das Bild eines friedlichen Sommertags, an dem Karl, gerade zweijährig, »oh, Ente« rief und Simone, seine Frau, die beste aller denkbaren Frauen, in einem Sommerkleid …
»So«, sagte Janna Bissheimer.
»Ja«, sagte er und stopfte die amputierte Ente in seine Manteltasche.
Gern hätte er gesagt, dieser Wagen gehört nicht mir, er gehört meiner Frau, aber das hätte gleich zu Beginn des Abends das Gespräch auf seine Familiensituation gelenkt, und im Moment sonnte er sich in dem Bewusstsein, einer jüngeren Kollegin attraktiv genug zu erscheinen, dass sie mit ihm essen ging; er wollte jede virtuelle Solidarisierung zwischen Simone und Janna Bissheimer vermeiden.
»Entschuldigung«, sagte er, als er ihr die Tür öffnete, »das ist ein Mietwagen, mein Wagen ist gerade zur Inspektion. Man glaubt nicht, was für hässliche Autos die heute bauen.«
Berger bestellte zwei Gläser Prosecco und eine überteuerte Flasche Pouilly Fumé. Janna Bissheimer wählte »Lombok Style Giant Shrimp«, er einen »Zander auf seinem gedünsteten Lauchbett«. Er überschlug kurz, was ihn dieser Abend kosten würde und ob es eine Möglichkeit gäbe, die Sache als Arbeitsessen einzureichen.
Sie lästerten eine Viertelstunde mit leuchtenden Augen über Frau Stoltenberg, gegen die er eigentlich nichts hatte, dann geriet das Gespräch ins Stocken. Berger ging, in der Hoffnung, eine weitere nähestiftende Figur ihrer gemeinsamen Welt auszumachen, alle Kollegendurch, aber die meisten kannte sie noch nicht gut genug, und außer Frau Stoltenberg mochte sie alle gern. Ohne das sichere Gerüst geschäftsnaher Themen, an dem er sich entlanghangeln konnte, hing er in der Luft. Politik schien sie nicht zu interessieren, Sport mochte sie nicht, Musik war ihr egal, sie hörte, was gerade im Radio kam. Noch vor dem Hauptgang war das
Weitere Kostenlose Bücher