Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
Vom Netzwerk:
künstlerische Begabung in ihm schlummerte), wuchs die Wut in ihm, dass er nicht seinen sichtbar teuren Kamelhaarmantel angezogen hatte und dass er sich nicht gegen Simones kryptoökologischen Automobilhass durchgesetzt und statt des Touran einen Porsche Cayenne gekauft hatte, der jetzt gut sichtbar hinter dem Zaun des Spielplatzes stünde und beim Start durch seine vier mächtigen Auspuffendrohre die Wahrheit in die Welt brüllen würde: Schaut her, ihr Pilzfrauen, ich sitze nicht um halb zwölf auf dem Spielplatz, weil ich arbeitslos bin und meine Frau das Geld verdienen muss, sondern weil ich a) mein Kind liebe und b) so erfolgreich bin, dass ich es mir leisten kann, zu meiner sehr gut bezahlten Arbeit zu erscheinen, wann ich will.
    Er verlagerte die Sandkrokodile unauffällig und schrittweise in Richtung der Frauen. Die linke sah müde aus und gähnte oft. Vielleicht war sie alleinerziehend. Er verspürte ein starkes Bedürfnis, sie zutrösten; während Karl mit seinem dünnen Stimmchen Lieder aus der Spielgruppe sang, stellte er sich vor, wie er mit ihr in eines dieser neuen asiatischen Restaurants essen gehen würde.
    »Alles gut?«
    Die Frau stand jetzt vor ihm und schaute zu ihm hinunter.
    »Doch, ja, warum?«
    »Weil Sie so komisch gucken.«
    »Wir bauen Krokodile jeden Tag«, sagte Karl strahlend und fuchtelte mit seiner roten Plastikschaufel in der Luft herum.
    »Das ist aber schön«, sagte die Frau mit einer milderen Stimme.
    »Nicht jeden Tag, nur heute, Karl, sonst muss Papa doch immer arbeiten«, beeilte er sich zu sagen und schaute entschuldigend zu der Frau hoch, aber sie war schon verschwunden.
     
    Als sie heimkamen, lag Simone in der Badewanne und hörte ohrenbetäubend laut Musik, ein Zeichen dafür, dass sie schlechte Laune hatte.
    Er vermied es, das Badezimmer zu betreten. Er setzte Karl in seinem Kinderzimmer ab, nahm aus einer vom Vorabend herumstehenden Champagnerflasche einen großen Schluck und beschloss, die Kisten auszupacken, die er vor ein paar Monaten aus dem Haus seiner Eltern geholt hatte. Sie hatten das Dach renovieren lassen und dabei die alten Überseekoffer seines Urgroßvaters ausgeräumt, in denen sich Mitbringsel aus aller Welt befanden, unter anderem ein präparierter Bisonkopf, der früher im Arbeitszimmer seines Großvaters gehangen hatte. Vielleicht war es ein Anfall von Nostalgie, vielleicht ein Versuch, die unterkühlt wirkenden zweihundertzwanzig Quadratmeter gemütlicher zu machen, der ihn dazu verleitete, eine Leiter und eine Bohrmaschine aus der Werkzeugkammer zu holen und im Flur ein Loch zu bohren, um den Kopf dort aufzuhängen. Er nahm viermal Anlauf; der Bohrer begann zu glühen, eine Wolke aus rotem Backsteinstaub, metallischem Gestank, Putz und schwarzem Abrieb dampfte aus dem Loch, überzog sein Gesicht, brannte in seinen Augen, legte sich auf den Kleiderständer und sank als Nebel in denweißen Teppich. Er holte einen Staubsauger und trank, weil er Durst hatte, auf dem Rückweg zum Bohrloch die restliche Champagnerflasche in einem Zug aus (das Zeug war schal und warm, aber die Vorstellung, Champagner im Restwert von zwanzig Euro in den Ausguss zu schütten, widerstrebte ihm). Er hatte nichts gegessen, und er war übermüdet. Er steckte das Kabel der Bohrmaschine in die Doppelsteckdose und stieg, die Düse des dort ebenfalls eingesteckten Staubsaugers unters Kinn geklemmt, auf die Leiter, geriet auf der zweiten von vier Stufen bedrohlich ins Trudeln und holte zu einer stabilisierenden Gegendrehung aus, wobei sich das Staubsaugerkabel um sein Bein wickelte. Dann nahm er die Saugtülle in die linke Hand und presste sie auf die Stelle, an der das Loch entstehen sollte, mit der rechten Hand hielt er die Bohrmaschine – eine dunkelgrüne Black & Decker KR 650 CRE – wie eine Maschinenpistole auf die Wand und betätigte den gelben Schalter. Er hätte jetzt eine dritte Hand gebraucht, um den Apparat gegen die Wand zu drücken, und weil diese Hand nicht vorhanden war, drückte er mit der Stirn oben gegen die Bohrmaschine. Er war jetzt das heilige Einhorn der Baumarktwelt, ein zorniger Maschinengott; die Bohrmaschine kreischte und vibrierte, als der Bohrer den harten Stein traf, das Bohrfutter ratterte und fräste Putz in Fontänen aus der Wand, der Staubsauger heulte, sein Kopf zitterte und schmerzte, und er spürte, wie das dunkelgrüne Plastik der Bohrmaschine einen Abdruck auf seine Stirn presste. Eine gnadenlose Wut auf den Ist-Zustand der Welt, auf die

Weitere Kostenlose Bücher