Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Plan, den die Urzeitfrau vor ihm gerade verfolgte. Sie tobte. Sie schrie. Dann packte sie, nackt wie sie war, den Bison bei den Hörnern, rannte quer durch die Wohnung und schleuderte ihn aus dem offenen Wohnzimmerfenster hinunter in den Canyon, der sich vor ihr auftat.
Er ging nach unten auf die Straße. Der Bison tat ihm leid, er lag neben einem türkisfarbenen Smart in einem Laubhaufen, ein Horn war abgebrochen, ein Auge beim Aufprall zersprungen. Berger deponierte den ramponierten Kopf im Kofferraum des Mercedes. Beim Zuschlagen des Deckels schien ihm das übriggebliebene Auge aufmunternd zuzuzwinkern.
Am nächsten Tag fuhr er, weil der Mercedes nicht mehr genug Benzin hatte und weil er zu spät dran war, um noch zu tanken, mit dem Touran ins Büro.
Simone meldete sich nicht, und als er sie anrief, nahm sie nicht ab. Er öffnete seinen Facebook-Account. Simone teilte ihren Freunden auf Facebook mit, sie sei gerade aufgestanden. »Henrike findet das gut«, stand in einem Feld über der Mitteilung. Oben links sah er ein Foto von Simone, das er selbst aufgenommen hatte. Unter dem Foto gab es zwei Rubriken, »Simone eine Nachricht senden« und »Simone anstupsen«. Er drückte »anstupsen«. »Du bist im Begriff, Simone anzustupsen«, teilte das System mit. »Sie wird darüber auf ihrer Startseite informiert.« Er drückte noch mal auf »Anstupsen«. »Du hast Simone angestupst«, erschien auf seinem Bildschirm, aber Simone hatte offenbar keine Lust, angestupst zu werden. Auch Tolkow schien sich in Luft aufgelöst zu haben; er war unter keiner seiner Nummern erreichbar, und sein Sekretariat hatte ein Band laufen, das wegen Überfüllung der Inbox keine Nachrichten mehr annahm. Er wollte lieber nicht wissen, was das zu bedeuten hatte.
Simone stand spät auf. Sie zog sich eine zu große, graue Jogginghose an, ging barfuß bis zum Briefkasten und zerrte an den Zeitungen, die mit Gewalt in den schmalen Schlitz gepresst worden waren; wie jeden Morgen riss beim Versuch, sie herauszubekommen, die erste Lage. Sie machte sich einen Kaffee, und dann begann sie mit der Arbeit – das heißt, sie versuchte es; sie machte ein paar Skizzen und kolorierte sie, dann warf sie alles weg und begann von vorn: Sie wollte etwas Großes und Mitreißendes, etwas grundlegend Neues schaffen. Sie blätterte inein paar alten Katalogen und überlegte, ob sie jemanden anrufen sollte, aber sie tat es nicht. Sie dachte an die weißen Feste in Jean-Luc d’Erissys Haus in Portofino, als sie vormittags im Pool trieben und nachmittags mit Valerio, den sie in Cortina d’Ampezzo kennengelernt hatten, Wasserski oder mit Jolandas Bentley in die Stadt fuhren und sich Kelly Bags kauften; sie dachte an Karim, der immer irgendein melancholisches Lied gesummt hatte, wenn er ihr unten an der Badestelle oder im Pinienhain den Rücken massierte; sie dachte an die Nächte, die sie mit Julia und Anja und Anna im Dolce Vita an der Piazza del Carmine verbracht hatte, und daran, wie sie mit Valerio und Karim am Morgen zum Ponte alla Carraia hinunterlief. Das alles war lange her. Jetzt entwarf sie Etiketten für Joghurtbecher und nähte den Namen »Karl« in Karls Jacken.
Berger ging mittags mit einem schweigsamen Mitarbeiter zum Italiener an der Ecke. Er hatte das Gefühl, der blasse Mann von der IKB-Bank verfolge ihn, aber als er sich umdrehte, war dort niemand. Nachmittags erledigte er seine Post und betrat, um der Sache mit der Transaktion auf die Spur zu kommen, das Büro seines Kollegen Lehnert.
Lehnert saß an seinem Schreibtisch. Er hatte dunkelblondes Haar, das er mit Gel in Form brachte, und eine rötliche, schuppige Haut, vielleicht eine Folge der trockenen Luft in seinem Büro. Der Raum war klein, und weil Lehnert immer bei geschlossener Tür telefonierte, roch es am Ende des Tages wie in einem Raubtierstall. Es war der Geruch, den man nach Dienstschluss in Anwaltskanzleien und Werbeagenturen findet, ein Geruch nach saurem Atem und Schweiß und Blähungen, ein Geruch, der entsteht, wo stillgestellte Körper psychischem Druck ausgesetzt sind. Ihm wurde schlecht, aber jetzt, wo er hineingegangen war und die Tür hinter sich zugezogen hatte, konnte er nicht einfach wieder rausgehen.
Er erzählte Lehnert von seinem Streit mit Simone, von einsetzenden Depressionen.
»Dann geh doch heute Abend mal mit der Janna aus der SP2 essen. Die hat doch keinen Freund. Die ist doch …«
»Entschuldige mal, die kenne ich überhaupt nicht. Ich kann
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