Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
sie jeden Winter zwei Wochen nach Thailand flog, war sie sehr blass. Anke hatte einen dicken Freund, der Jens hieß und aus kleinen, verkniffenen Äuglein in die Welt schaute, als wolle er dieser mitteilen, sie könne ihm nichts vormachen. Jens spielte gern Golf und verfolgte die Entwicklung seiner Depots aufmerksam, er hatte Theorien zur Misere des Landes und eine Schwäche für Sauerbraten. Wenn er sprach, war man erstaunt, dass eine solch dünne, quakende Stimme aus einem derart massigen Körper kommen konnte. Seine Schwester war arbeitslos, er steckte ihr, wie er mit besorgtem Gesichtsausdruck mitteilte, manchmal Geld zu, nicht ohne sie zu mehr Fleiß zu ermahnen. Mehr wusste man nicht über Jens, von dem sich Anke jetzt offenbar getrennt hatte.
»Wer, den wir kennen, würde zu Anke passen?«
»Du meinst, wer, von allen Leuten, die wir kennen, gern mit ihr zusammen wäre?«
»Ja.«
»Niemand.«
»Was?«
»Nein. Zu antriebsarm. Und besonders gut sieht sie ja auch nicht aus.«
Er öffnete das Fenster einen Spaltbreit, schaute dem Tanz der gelben Instrumentennadeln im Cockpit zu und zündete sich eine Zigarette an, die er aus dem Fenster rauchte. Sie fuhren mit geschlossenem Verdeck. Draußen, neben der Autobahn, stach das Sonnenlicht in die Nadelwälder und schnitt grelle Achsen durch die Luft, der Motor gab ein zuversichtliches Achtzylinderbrummen von sich. Das Auto erschien ihm wie eine Zeitmaschine, die aus ihnen wieder das Paar machte, das sie vor der Geburt des Kindes gewesen waren. In diesem Moment kam die Frage:
»Wen von meinen Freundinnen findest du denn attraktiv?«
»Wie meinst du das?«
»Wie meine ich das? Wie soll ich das wohl meinen?«
Simone schaute ihn an, er kannte diesen Blick, jetzt kam ein Spiel, eine Untat, Frage Nummer zwei:
»Wenn du jetzt mit einer meiner Freundinnen schlafen müsstest …«
Was ist das jetzt wieder für ein Nonsens, dachte er, ging aber pflichtbewusst all ihre Freundinnen durch. Natürlich galt es, die Wahrheit zu vermeiden.
»Ich will mit keiner deiner Freundinnen schlafen«, log er. »Ich will mit dir schlafen.«
»Aber wenn du müsstest«, quengelte sie. »Wenn es mich nicht gäbe.«
Sie hatte ihre Füße auf das Armaturenbrett gestellt, er warf einen kurzen Blick auf die Muskulatur ihrer schmalen Unterschenkel.
»Wenn es nur meine Freundinnen auf der Welt gäbe.«
»Wenn es dich nicht gäbe, würde ich schwul werden oder Mönch«, sagte er. Simone schaute ihn an wie ein Kind, dem man einen Wunsch nicht erfüllt.
»Komm, das ist ein Spiel. Also los.«
»Gut«, sagte er, wissend, dass er jetzt möglicherweise eine schwerwiegende, das Wochenende gefährdende Wahrheit preisgeben würde, aber was sollte er tun, es war nicht seine Schuld. »Wenn es unbedingt sein muss, mit Anna.«
Er versuchte, jetzt möglichst unbeteiligt auf die Fahrbahn zu schauen. Rechts neben ihm gab es einen Ruck, dann hörte er ein zischendes Geräusch wie aus einem Kessel, in dem Überdruck geherrscht hatte.
»Anna. Das ist ja klar. Das ist so billig. Klar, dass du Anna nehmen würdest. Das ist so primitiv. Außerdem ist Anna überhaupt keine richtige Freundin von mir.«
Sie hockte sich mit angezogenen Beinen in den Beifahrersitz und schüttelte sich pathetisch. Dann zündete sie sich eine Zigarette an.
»Das ist echt widerlich. Aber passt gut zu diesem Auto.«
Er beschloss, nicht mehr zu antworten, und starrte grimmig auf die Betonfahrbahn.
»Unwiderstehlich, wie du nichts sagst und so lässig auf die Straße schaust«, giftete Simone weiter. »Das ist James Bond, mindestens. Schade, dass keine Kameras oder wenigstens ein paar Spiegel da sind, in die du so schauen kannst.«
Er wurde wütend. Er schaute zu oft in spiegelnde Oberflächen, erwusste, das war ein Fehler von ihm; er hatte, um diese plötzlichen, unerwarteten Begegnungen mit sich selbst auszuhalten, auch einen bestimmten Gesichtsausdruck, den er sofort aufsetzte, wenn er Spiegeln oder Kameras begegnete – aber es war unfair und herzlos, ihn an dieser Stelle darauf hinzuweisen.
Simone saß im Schneidersitz da und rauchte; sie hatte das Fenster auf der Beifahrerseite einen Spaltbreit geöffnet; der Rauch zog über das Armaturenbrett.
»Kannst du bitte zum Fenster raus rauchen«, sagte er.
Sie nahm einen tiefen Zug und hielt die Zigarette aus dem Fensterspalt. In diesem Moment drückte er auf den elektrischen Fensterheber in der Mittelkonsole, die Seitenscheibe surrte hoch und klemmte ihre Zigarette ein. Sie
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