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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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schrie kurz auf, und er musste lachen. Den Rest der Fahrt schwiegen sie. Gefährlich verrenkte Kiefern flogen vorbei, Felder und Schilder mit bizarren Namen, die nach Polen wiesen. Im Hotel lagen sie ratlos nebeneinander im Bett. Im Nebenzimmer tobte sich ein älteres amerikanisches Ehepaar aus.
    »Die haben ihren Spaß, was«, sagte Berger und starrte auf die goldene Messinglampe neben dem Bett.
    »Schatz«, antwortete sie mit einem grimmigen Unterton, »du bist Familienvater und hast keinen Sex mehr, aber tröste dich, ab fünfzig wird dein Leben zurückgespult, und in der kurzen Phase, wenn die Kinder aus dem Haus sind und bevor du wieder in die Windeln scheißt, wirst du wieder Sex haben wie ein Zwanzigjähriger, vermutlich mit einer Zwanzigjährigen, die dich hinreißend findet in deinem Sportcabriolet.«
     
    Die giftigen Kommentare zu seinem Auto verfehlten ihre Wirkung nicht. Dank ihrer ständigen Spitzen gegen den Mercedes kam er ihm wirklich wie das Vehikel eines anderen Lebens vor, und wenn er ihn fuhr, war ihm, als ob sich Chancen wieder auftäten und die unerbittlichen Leitplanken seiner Existenz verschwunden wären.
     
    Er trat der Internet-Community Facebook bei. Die Seite baute sich vor ihm auf, man sah eine Weltkarte, auf der gelbe Köpfe mit gestrichelten Linien verbunden waren. »Wähle Personen aus, die du möglicherweise kennst«, befahl das System. Ein paar Fotos erschienen. Er kannte keinen. Dann gab er Simones Namen ein, und offenbar bestätigte sie seine Anfrage. Simone und Jochen sind jetzt Freunde, verkündete das System. Links baute sich eine Liste auf.
    »Du hast eine Freundin«, sagte das System. »Schön wär’s«, murmelte er. Er ging auf die Rubrik »Personen blockieren«.
    »Jegliche Verbindung, die du mit einer Person, die du blockierst, derzeit auf Facebook hast, wird abgebrochen (zum Beispiel Freundschaft, Beziehungsstatus usw.)«, teilte das System mit.
    Wenn der Arsch aus der EM1 hier drin ist, dachte er, werde ich ihn blockieren.
    »Schreibe etwas über dich«, verlangte das System. »Interessiert an: Freundschaft, Verabredung, feste Beziehung?«
    Nichts davon, dachte er.
    »Was machst du gerade?«, wollte das System wissen.
    »Ich melde mich bei Facebook an«, schrieb er wahrheitsgemäß und schaute, was passierte.
    »Jochen meldet sich gerade bei Facebook an«, teilte das System mit.
    Ein Klingelton ertönte. Der Satz »Simone findet das gut« erschien unter dem Eintrag. In der Rubrik »Personen, die du vielleicht kennst«, wurde ihm ein Irrer gezeigt, der einen Hut und einen langen Bart trug. Wie kam das System jetzt darauf, ihm diesen Unglücksvogel als Freund anzudrehen; welcher böse Zufallsalgorithmus hatte ihm jetzt den angespült; war das der Vorschlag, den alle bekamen, die keine Freunde hatten? Er schaltete den Computer aus.
     
    An diesem Freitag – dem Tag, an dem er erst später ins Büro musste – nahm er das Kind. Sie gingen auf den Spielplatz, und er betrachtete mit Rührung, wie der kleine Karl Gruben aushob, Berge aus Sand auftürmte und das Geräusch eines Baggers imitierte. In dieser Welt waren die Dinge in Ordnung, es gab nichts außer formschönen Türmen undKrokodilen und Dankbarkeit. An diesem Freitag versuchte er, Tolkow wegen der dubiosen Transaktionen und der neuen Produkte zu erreichen, aber Tolkow war wie vom Erdboden verschwunden. Weiter hinten saß eine Türkin auf der Parkbank, dann tauchten zwei Frauen mit ihren Kindern auf; sie trugen schwarze Stiefel und streng gescheitelte Frisuren, eine trank Kaffee aus einem Pappbecher, die andere fingerte an ihrem iPhone herum; sie stammten aus seiner Welt, der Welt der Leute mit den weißen Kabeln im Ohr. Sie musterten ihn kurz und redeten dann weiter. Es war nicht die Stunde der erfolgreichen Väter, die war samstagnachmittags, wenn die erfolgreichen Väter aus ihren Kanzleien und Büros kamen, um sich der Familie zu widmen. Ein Vater, der dagegen an einem Freitag um Viertel vor zwölf Zeit hatte, Krokodile aus Sand zu bauen, war entweder unermesslich reich und musste überhaupt nicht mehr arbeiten, oder er war arbeitslos. Die Frauen hatten ihn nach dem ersten Eindruck offenbar in die zweite Kategorie getan, und obwohl er keine besonders große Lust hatte, sie kennenzulernen, war er trotzdem empört über das, was sie vermutlich von ihm dachten. Während Karl mit spitzen Freudenschreien die Sandkrokodile zertrampelte, die er ihm baute (und zwar leider bevor die Pilzfrauen sehen konnten, welche

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