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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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vor, als wäre er schon eine Woche mit Phyllis unterwegs. Es erschien ihm allen Ernstes unrealistisch, dass er Arzt war und verheiratet und – wenn man davon ausging, dass man eine einmal definierte Identität und Daseinsform nicht beliebig erweitern darf – auf dieser Insel, mit dieser Frau, nichts zu suchen hatte.
     
    Er stellte fest (jedenfalls erzählt er das später so), dass er bisher sein Leben von Vorläufigkeit zu Vorläufigkeit hatte dahinlaufen lassen, in der Annahme, irgendwann sein von ihm selbst entworfenes eigentliches Leben beginnen zu können – bis ihm klar wurde, dass dieses eigentliche Leben offensichtlich aus den Aneinanderreihungen dieser Vorläufigkeiten und Zufälle bestand und keinerlei Entscheidungenoffen werden konnten. Er galt zum Beispiel als ein sehr guter Arzt,aber niemand (außer ihm selbst, in manisch gutgelaunten Momenten) ging ernsthaft davon aus, dass aus ihm noch ein Rockstar werden würde. Nur Ingrid wusste von diesen früheren Ambitionen und bestärkte ihn immer wieder einmal, eine Platte aufzunehmen – so wie Elvis für seine Mutter, sagte sie, ein vollkommen absurder Vergleich, für den er sie sehr liebte.
    Sie nahmen den ersten Zug nach Niebüll. Sie parkten oben auf dem Autozug, das Verdeck offen, ein immobilisiertes Auto auf einem durchs Meer rasenden Zug. Phyllis schob eine ihrer Kassetten ins Radio (»Foxy Lady«, »Gimmie Shelter«), dann beugte sie sich tief in den Fußraum hinunter und drehte sich dort, windgeschützt, einen Joint. Er schaute ihr zu. Die Sonne brach durch Wolkentürme, die sich aus der Tiefe des flachen Landes über Achtrup und Sprakebüll auf die Insel zuwälzten.
    »Man merkt«, sagt er, »dass das da oben Tiefland zwischen den Meeren ist; man merkt es an den Wolken, die sich auf Hunderte von Kilometern, über dem Baltikum schon, aufgetürmt haben.«
    Sie wickelte sich in seinen Pullover, lehnte ihren Kopf an seine Brust und stemmte die Beine gegen die Seitenscheibe, und der Wind riss das dünne, verbrannte Papier von der Spitze ihres Joints. Er schloss das Verdeck. Im Rückspiegel wurde die Insel kleiner und diffuser im Dunst, wie eine unscharfe Erinnerung, und als er sich umdrehte, war sie verschwunden.
    Bei Husum gerieten sie in eine Verkehrskontrolle. Die Polizei stand vor dem Ortsschild in der Kurve; es gab keine Möglichkeit, unauffällig zu wenden. Bellmann ließ das Fenster einen Spaltbreit hinunter, gerade so weit, dass man einen Finger hindurchstecken konnte.
    »Guten Tach«, sagte der Polizist. Er hatte ein längliches Gesicht. An seiner Nase zeichnete sich ein Sonnenbrand ab. Seinem Akzent nach stammte er aus der Gegend. »Fahrzeuchkontrolle.«
    Hinten hupte jemand. Der Polizist richtete sich auf. Im Fenster des Wagens waren jetzt nur der Gürtel, die Pistole und das Funkgerät des Polizisten zu sehen. Dann tauchte auch der Kopf wieder auf. Bellmannschaute durch den Spalt, ihre Nasen konnten sich jetzt beinahe berühren.
    »Die Papiere bitte.«
    »Leider zu Hause vergessen«, sagte Bellmann.
    »Aha. Und Sie sind der Herr …?«
    »Bellmann. Ich bin Arzt«, sagte Bellmann, als könne die Erwähnung seines Berufs die Situation entschärfen.
    »Der Herr Bellmann aus dem schönen Hamburg «, sagte der Polizist mit der Süffisanz eines echten Husumers, der von den beiden Endpunkten des Pendelverkehrs zwischen Westerland und Hamburg gleichermaßen wenig hielt.
    »Und die junge Dame auf dem Beifahrersitz ist die gnädige Frau Bellmann, nehme ich an?«
    »Ja. Das heißt, nein.«
    Der Polizist schaute verblüfft, dann schnupperte er misstrauisch.
    »Machen Sie doch bitte mal die Tür auf.«
    »Welche Tür?«
    Der Polizist legte den Kopf schief.
    »Wie viele Türen haben Sie denn so im Angebot?«
    »Zwei?«
    »Sehr gut! Wir fangen mit der linken an. Und den Kofferraum können Sie auch gleich aufmachen.«
    Im Kofferraum lag, neben einem Warndreieck, einem Feuerlöscher und einer karierten Decke, der Bunsenbrenner.
    »Was machen Sie denn damit so?«
    »Damit flamme ich meine Kellerbar«, erklärte Bellmann wahrheitsgemäß.
    »…?«
    »Ich flamme das Holz in meiner Kellerbar, damit es antik aussieht«, wiederholte er.
    Ein zweiter Polizist ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür.
    »Guten Morgen die Dame, einmal aussteigen und den Ausweis bitte.«
    »Sie ist Amerikanerin«, sagte Bellmann, »sie spricht kein Deutsch.«
    Der Polizist musterte unzufrieden den Holzpfosten, der neben dem Graben aus dem Acker ragte.
    »Ausweis,

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