Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
please.«
»Herr Bellmann?«
»Ja.«
»Das ist Ihr Kraftfahrzeug?«
»Ja. Natürlich.«
»Da sind Sie sich ganz sicher?«
»…«
»Sie haben das Kraftfahrzeug nicht entwendet?«
Der andere Polizist machte sich an seinem Funkgerät zu schaffen.
»Jawohl«, rief er in das geschäftige Rauschen des Apparats hinein, »eine ausländische Person und ein Bunsenbrenner im Kofferraum.«
Bellmann erinnert sich, dass es Abend war, als sie wieder in die Stadt kamen, und dass es regnete; der Regen stürzte in Bächen neben den defekten Fallrohren über die Backsteinwände und vermischte sich im Rinnstein mit dem Ruß und dem Staub der langen Trockenperiode. Ein Krankenwagen raste über den nassen Asphalt, die flackernden Blaulichter spiegelten sich in den Scheiben. Mit dem ersten Donnerschlag wurde der Regen noch heftiger; bald konnte er nicht einmal mehr bis zur nächsten Ampel sehen. Das Wasser spritzte in Wellen aus den Radkästen der vorbeifahrenden Wagen, und die Häuser am Alten Pferdemarkt verschwanden in einer weißen Gischt.
Ihr Kleid klebte am Körper, als sie ihre Wohnung erreichten. Die anderen waren verschwunden, Bellmann und sie waren allein. Draußen trommelte der Regen lärmend auf Dinge aus Blech; der Himmel hinter dem Fenster war dunkelgrau. Als er aus dem Bad ins Zimmer trat, saß sie in ein Handtuch gewickelt auf dem Bett. Ihr Haar war nass und immer noch voller Sand. Ihr Zimmer war sehr klein, vom Bett aus konnte man das Fensterbrett berühren. Ihr Bett war aus Gusseisen, daneben standen ein Holztisch und zwei hohe alte Stühle; die Einrichtung erinnerte ihn an einen Cowboyfilm, den er einmal in Mannheimgesehen hatte. Er dachte an das kleine, mit Antiquitäten vollgestopfte Zimmer seiner Mutter. Phyllis legte eine Platte von Leonard Cohen auf, dann hockte sie sich im Schneidersitz in einen Berg von Kissen und schlug zweimal mit der flachen Hand auf die Bettdecke neben sich, so, wie man einen Hund herbeiruft.
Als er nachts aufwachte, hörte er die Kräne im Hafen heulen. Phyllis lag quer auf ihrem Bett; es war heiß, ihr rechter Arm ragte ausgestreckt über die Bettkante und umklammerte einen Zipfel der Bettdecke; so, wie sie dalag, erinnerte sie ihn an eine umgekippte Freiheitsstatue. Es war seine zweite Nacht mit ihr, er wusste, dass sie morgens im Halbschlaf ihr Haar wie eine Gardine vor ihr Gesicht zog, um sich vor dem Tageslicht zu schützen.
Zum Frühstück aßen sie Dinge, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, Buttermilk Flapjacks, Vermont Maple Syrup, Produkte des ländlichen Amerikas, und er dachte kurz daran, wie es wäre, mit ihr in einem weißen Farmhaus in Vermont am Ufer des Champlainsees zu leben. Er sagte es ihr, sie lachte und schaute ihn an und sagte, während sie kaute, das wäre ganz bestimmt sehr schrecklich.
Als er nach Hause kam, war Ingrid nicht da. Er ging in den Atombunker, legte eine Platte von Pat Boone auf und schenkte sich einen Bourbon ein.
Er holte einen Karton mit Fotos aus dem Schrank. Er hat viele Fotos, die er in einer Schachtel im Keller aufbewahrt – Bilder, die ihn mit Freunden zeigen, bei Tanzwettbewerben, mit Pokalen, als Student mit Bierhumpen auf dem Oktoberfest, mit verschiedenen Mädchen. Auf den Fotos hat er immer den gleichen Gesichtsausdruck: in Falten gelegte Stirn, ein Blick, der Unbestechlichkeit signalisieren soll, leicht geöffneter Mund, Zigarette im Mundwinkel. Über die Jahre ist sein Gesicht auf den Fotos älter geworden, man könnte ein Daumenkino aus diesen Bildern basteln, dann würde, neben einem Sturm aus blonden, roten, dunklen Haaren, sein Gesicht in Sekundenschnelle verfallen, im Handumdrehen würden die Wangen knochiger, der Haaransatz lichter werden. Er versuchte, sich an Namen zu erinnern; einigewaren ihm entfallen. Er überlegte, was diese Frauen jetzt wohl taten – einige waren sicher verheiratet; was wäre, wenn er sie jetzt anrufen würde? Neben dem Kasten mit den Fotos lag sein alter Teddybär, ein letztes Geschenk seines Vaters; der Bär war eingestaubt, er hatte, als Bellmann zum Studium ausgezogen war, noch lange bei seiner Mutter im Wohnzimmer auf dem Sofa gesessen; seit ihrem Umzug lagerte er hier. Dem Bären fehlte eins seiner beiden Glasaugen, er hatte es damals beim Gedränge in einem Luftschutzkeller verloren.
Später fuhr er ins Krankenhaus. Im Aschenbecher des Autos fand er den halb gerauchten Joint, Phyllis musste ihn dort vergessen haben. Er nahm den Stummel andächtig an sich, wickelte ihn in
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