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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Mutter durch das Chaos im Garten, ergatterte ein Stück Fleisch und zog sich wieder in ihr Zimmer zurück. Die Musik lief bis spätnachts.
     
    Es kamen jetzt, wie bei einer öffentlichen Attraktion, die sich allmählich herumspricht, immer mehr Menschen zu den Bellmanns. Man wurde nicht eingeladen; man kannte jemanden, der jemanden kannte, der den Arzt kannte, und ging einfach hin. Nie gesehene Nachbarinnen betraten laut rufend das Haus, ihre runden Gesichter waren bemalt wie Bauernschränke. Ein verschlagen aussehender Mann schob eine Frau durch die Terrassentür, ihre Frisur war zu einem Minarett aufgedreht und mit einer Sprühsubstanz befestigt, sie erinnerte an einen mit Klebstoff überschütteten Uhu. Hinter der Frau trafen zwei dicke Herren ein, die umständliche Erklärungen, ihre Anwesenheit betreffend, abgaben – Neugierige aus dem Ort vielleicht. Woher kamen all diese Menschen? Er hörte bellende Stimmen, spitzes Gekicher, klirrende Gläser. Er sah lächerlich schmale Herrenschuhe, die am Rand des Pools den Takt eines Foxtrotts mitklopften. Er erkannte einen Mann, der für die Pfälzischen Plastic-Werke Frankenthal arbeitete undüber ein Produkt namens »Pegulan« sprach; er war schon öfter hier gewesen, er war der Lebensgefährte der Freundin einer Freundin seiner Frau, so etwas. Der Pegulan walzte durch den Garten und redete über seine Arbeit, Bellmann hörte die Worte »abwaschbar« und »phantasievolle Muster«. Er wanderte durch sein Wohnzimmer wie durch eine unbekannte Steppenlandschaft. Ein schwitzender Mann, der Ingrid in den Arm nahm, flüsterte ihr Dinge zu, und Ingrid nickte und lachte und warf den Kopf in den Nacken und trank ihren Martini in einem Zug aus. An der Stereoanlage, einer Blaupunkt-Hi-Fi-91, hatte sich ein Langhaariger breitgemacht und durchwühlte die Plattensammlung. Jemand trat ein und stellte sich höflich vor, sein Vorname sei Wolf Dieter. Der arme Mann, dachte Bellmann, wie man ein Kind nur Wolf nennen kann, aber so hießen diese Leute, all die ganzen germanischen Blut-und-Stahl-Namen, Gernot und Gisela Giselher und Hartmut, Hartwig und Rolf und Wolf Dieter. Ebenso gut hätten sie ihn Hirsch Horst oder Kater Karsten nennen können, kein Wunder, dass sich alle irgendwelche Phantasienamen gaben, wenn sie Künstler wurden.
    Es waren seltsame, ausufernde Feste, sagt Bellmann. Die Cousinen von Ingrid begannen, ihre Freunde mitzubringen, die wiederum ihre Kollegen mitschleppten, jedes Wochenende fuhren überladene Autos vor und entluden amüsierwillige aufgekratzte Horden, jemand kreischte, irgendwo knallte eine Flasche auf den Boden, draußen war einer über den Rasenmäher gestolpert und durchwühlte jetzt den Badezimmerschrank nach Pflastern, die Musik war zu laut, es war zu heiß. Der Pegulan saß in Bellmanns Lieblingsstuhl, einem Sessel von Knoll International, der auf drei filigranen Beinen balancierte. Der Pegulan war dick und hatte kurze Beine, die knapp über dem Boden baumelten, während er seinem Gegenüber mit ausufernden Handbewegungen die Schwierigkeiten der Schlacht am Montemajur darlegte. Kurz vor Rommels entscheidendem Durchbruch brach das hintere Stuhlbein ab, und die intakten vorderen Beine des Sessels verhinderten, dass der Pegulan wieder hochkam. Ein paar Leute zerrten ihn aus der Ecke, der zerstörte Stuhl wurde unter großem Gelächter an dieWand geschoben und das abgebrochene Bein neben den Käseteller gelegt. Auch Hancock war da, er trug einen schmalen Schlips mit einem Muster, das an das Störbild im Fernsehen erinnerte. Bellmann trank nacheinander ein Pils, zwei Wodka und einen Slibowitz, Cherry und Bourbon; dann legte er, weil er wusste, dass Hancock ein miserabler Tänzer war, einen schnellen Foxtrott auf und zog seine Frau auf die Terrasse; sie tanzten, bis alle Gäste gegangen waren.
     
    Es wurde Herbst; es gab Tage, an denen der Sommer noch einmal zurückzukommen schien, aber dann verfärbte sich das Laub an den Bäumen, die Fliegen wurden träger und flogen gegen die Scheiben und lagen morgens tot auf der Fensterbank. Er traf Bernd, der viel Bier trank und ihn mit traurigen Augen anschaute. Zum Abschied drückte er ihn lange an seine schlechtrasierte Wange.
    Phyllis meldete sich nicht, in ihrer New Yorker Wohnung ging nur ein bekiffter Mensch ans Telefon, der nicht einmal sagen konnte, wie er selbst hieß, geschweige denn, wo Phyllis steckte. Bellmann gab es schließlich auf. Er arbeitete. Er tastete ab, verschrieb, dozierte. Er hielt Vorträge

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