Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
außerstande, Ersatzteile für Eismaschinen zu liefern, Beamte der Innenbehörde beschwerten sich über in den Straßenraum hineinragende Eismaschinen und verlangten die Unterzeichnung von Straßensondernutzungsgenehmigungen. Wadorf fuhr mit dem Mercedes zur Behörde und rechtfertigte sich, die Maschine stehe mit allen vier Rädern auf dem Gelände des Kaufhauses. Aber sie rage bauartbedingt vier Zentimeter über das aufgehende Mauerwerk hinaus in die Fußgängerzone, erklärte der Innenbehördenbeamte, und die sei juristisch gesehen eine Straße. Also beantragte Wadorf eine verkehrsrechtliche Genehmigung der Polizei für seine vier Zentimeter in die Straße hineinragende Eismaschine und eine Reisegewerbekarte für den Verkauf von »Waren aller Art«. Das war dem Beamten zu allgemein. Was er denn genau verkaufen wolle? Imbisswaren, sagte Wadorf, Currywurst, Rostbratwurst, Nackensteak. Von Nackensteak hatte der Beamte noch nie etwas gehört, er werde, erklärte er, überprüfen müssen, ob es sich bei Nackensteak um eine zulässige Imbissware handelte. Was er noch verkaufen wolle?
»Buletten und Pommes.«
»Pommes geht schon mal nicht«, entgegnete der Beamte mit dem erfreuten Gesichtsausdruck eines Mannes, der wieder ins Reich eindeutiger Vorschriften zurückgefunden hatte. »Imbisswaren müsseneinhändig verzehrt werden können. Pommes werden mit zwei Fingern gegessen.« Das Anbieten von Dingen, die mit zwei Händen, im Falle von Pommes mit einem Spicker gegessen werden müssen, sei eine »Animation zum Aufenthalt« und erfülle den Tatbestand ungenehmigter Gastronomie. »Wenn ich Sie dabei erwische, dass Sie Pommes anbieten, sind Sie mit einem Bußgeld von etwa zehntausend Mark dabei«, schob der Beamte mit einem jovial-strengen Gesichtsausdruck hinterher. Außerdem berühre die Reisegewerbekarte nicht die Sondernutzungsrechte des Straßentiefbauamtes; bei dem müsse eine gesonderte Ausschankgenehmigung beantragt werden.
Mit solchen Dingen verbrachte Wadorf seine Tage. Aber durch seinen mit Terminen, Aktienkursen und Verwaltungsvorschriften reichlich vollgestopften Unternehmerkopf summte immer wieder die Erinnerung an die Tage in Karlsbad. Er konnte sich nicht konzentrieren. Für einen kurzen, verrückten Moment dachte er daran, zu ihr in die DDR zu gehen und dem Sozialismus das Softeis zu bringen, eine blitzartige Idee, die sich genauso blitzartig wieder aus seinem Kopf verabschiedete und von einer anderen ersetzt wurde. Er besprach die Sache mit Erika, die erstaunlich ruhig auf seinen neuen Vorschlag reagierte und ihm erklärte, sie habe ohnehin nichts zu verlieren.
Er besaß einen Eisstand auf der Potsdamer Straße; nebenan standen die Prostituierten und die kleinen Dealer, und im Laufe des Tages kamen allerhand zwielichtige Gestalten vorbei. Er kannte die Hehler, die Kleinkriminellen, und es war nicht schwierig, im Gewimmel von Leuten, die ihr Geld in allen erdenklichen Illegalitätsstufen verdienten, einen Schleuser aufzutreiben. Der Schleuser, ein junger Mann mit halblangen Haaren, verlangte zehntausend Mark dafür, Erika im Kofferraum seines Wagens über den Grenzposten zu bringen.
»Und was ist, wenn ich dir das Geld gebe, wer sagt mir, dass du sie wirklich rüberholst?«, fragte Wadorf.
»Mach dir keine Sorgen, Alter«, sagte der große dünne Mann und grinste. »Du zahlst, wenn wir sie hier haben.«
Dann verschwand er, und Wadorf fuhr über den Checkpoint Charlie, um Erika mitzuteilen, wer sie wann und wo abholen würde.
An diesem Tag wartete er schon zwei Stunden vor der vereinbarten Zeit hinter dem Grenzübergang Heerstraße. Er saß in seinem Benz und sah das träge Havelwasser vorbeiziehen; er schaute in das Geäst der Bäume und zählte die Krähen, er dachte an Karlsbad und daran, dass der Schleuser gesagt hatte, die Sache sei eine Routineangelegenheit: Bei den vielen Wagen, die seit der Liberalisierung der Ost-West-Beziehungen die Grenzen passierten, sei es quasi ausgeschlossen, dass die Grenzbeamten ausgerechnet ihren Kofferraum öffnen würden.
Wadorf wartete eine Stunde. Er wartete zwei Stunden. Er wartete bis Mitternacht, dann startete er den Mercedes und fuhr in die Potsdamer Straße. Er fragte ein paar Prostituierte, ob sie den Schleuser gesehen hätten, aber der Mann war verschwunden.
Gegen drei Uhr legte er sich angezogen auf sein Sofa und schaltete den Fernseher an, aber der Apparat gab nur einen Pfeifton von sich. Wadorf dachte an einen Morgen in Karlsbad. Er
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