Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
und dem Hund gleichermaßen vorwurfsvolle Blicke zu. »Keine Respekt«, sagte er, und es war nicht klar, ob der Vorwurf an den Hund oder an Wadorf gerichtet war. Draußen vor dem Haus musterte Dalishas Bruder misstrauisch den Ford.
Während des Kaffeetrinkens hielt der Vater mit seinen erstaunlich großen Händen eine der Porzellantassen hoch; er nickte Wadorf zu und deutete mit einem Lächeln auf die feinen gekreuzten Schwerter auf der Unterseite des Geschirrs und erklärte: »Von Deutschland, kostbar. Echte Qualität.«
Einen Monat später kaufte Wadorf einen großen Karton Meißener Porzellan und Mokkatassen, lud ihn in den Kofferraum des gespenstisch röchelnden Fords und fuhr, quer durch ein verregnetes Frühherbsteuropa, über eine Grenze, deren Zöllner eine Strenge ausstrahlten, als bewachten sie den Eingang zur Hölle, zurück in den Prager Vorort, um Dalisha einen Heiratsantrag zu machen.
Ihr Vater hatte den Hund diesmal weggesperrt und empfing ihn mit zwei Gläsern Birnengeist in der Hand; er küsste ihn sogar auf den Mund und schlug ihm mit breiten Pranken ins Kreuz, als er ihn das erste Mal umarmte.
Sie heirateten im Herbst und zogen nach Wilmersdorf in eine kleine Wohnung.
Wadorf mietete einen alten Laden im Erdgeschoss des Hauses, in dem sie wohnten, und eröffnete eine Parfümerie. Leider schienen die Wilmersdorfer wenig Interesse an exklusiven Seifen, Parfüms und anderen Toilettenartikeln, die er mit seiner Frau zusammengestellt hatte, zu haben, oder sie kauften ihr Parfüm woanders, jedenfalls betraten die Leute Wadorfs Parfümerie nur, um die Zip-Kohlenanzünder zu kaufen, die er probehalber, in Ergänzung seines umfangreichen Seifen- und Riechwassersortiments, in einer schlechtbeleuchteten und eher unzugänglichen Ecke seines Geschäftes aufgetürmt hatte.
Wadorf verkaufte einige Palettenladungen Zip im Monat. Der Zip-Absatz war beängstigend. Mit den Zip-Mengen, die er täglich verkaufte, hätte man alle vier Sektoren inklusive Reichstag, Mauer und Brandenburger Tor in Brand setzen können. Wadorf beschlich der Verdacht, in Berlin werde überhaupt nicht mehr mit Kohle, sondern ausschließlich mit Zip geheizt. Der Kleintransporter, der die Zip-Pakete lieferte, kam immer häufiger, stapelte seine Ware direkt hinter dem Eingang derParfümerie, und Wadorf verkaufte gleich an der Tür, so dass der rege Zündstoffhandel es potentiellen Seifen- und Parfümkunden fast unmöglich machte, zu den verstaubten Exponaten hinter dem Zündmaterial vorzustoßen. Die Zip-Türme schreckten außerdem die Handelsvertreter der Parfümhersteller ab. Der blasse Mann, den 4711 Kölnischwasser monatlich nach Berlin entsandte, stieß sich schon beim Betreten des Ladens das rechte Knie an einem Zip-Karton und war auch durch die Tatsache, dass er hier einen rheinischen Stammesgenossen traf, nicht zu einer Konzession für den Vertrieb seines Parfüms zu bewegen. Siebenundvierzigelf, sagte er zum Abschied, gebe es nur in ausgesuchten Läden, die er zu bestimmen habe, und in diesem hier werde statt Kölnischwasser wohl (er lachte mit einer beinahe irren Freude, die sein Doppelkinn zittern ließ und ein böses Stechen in seine Augen trieb) eher Löschwasser verkauft, nicht wahr? Dann lud er seinen Probenkoffer in den Kofferraum, reichte Wadorf eine überparfümierte Hand und verschwand.
Mit den Vertretern des Parfüm- und Rasierwasserherstellers Tabac verlief es keineswegs besser. Die Herren betraten das Geschäft, schauten sich um, schüttelten den Kopf und antworteten ausweichend auf Wadorfs Frage, ob er denn hier, direkt am Eingangsbereich, das berühmte Rasierwasser aufbauen dürfe. Nein, sagten die Herren, leider. Immerhin durfte er ein Parfüm namens Margaret Astor vertreiben, das aber niemand haben wollte. Es war, genau genommen, ein trostloses Jahr. Dalisha hatte Heimweh, schrieb umfangreiche Briefe nach Hause und wurde immer schweigsamer, während er in einer durch die unerbittlichen Gesetze des Marktes zum Pyrospeziallager umfunktionierten Parfümerie von morgens bis abends kleine Brennwürfel zu neunundneunzig Pfennig das Paket verkaufte.
Sie ging zurück nach Prag. Er lebte jetzt allein in Berlin als Besitzer der erfolglosesten Parfümerie der Stadt. Sein Vater, der mittlerweile zehn Lastwagen besaß und Geschäfte in ganz Europa machte, lieh ihm Geld.
An einem warmen Julitag schloss Erich Wadorf seine Parfümerie und wanderte mehrere Tage durch die von der Hitze ausgedörrten Berliner Straßen.
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