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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Sheba zu stinken; er warf es mit dem Teller weg.
    Zwei Tage später war die Katze wieder da, dann kam sie immer häufiger. Einmal schlief sie am Fußende seines Bettes; in der Nacht hörte er ihr Schnurren neben seinem Kopf. Seitdem ließ er die Balkontür offen. Die Luft in seiner Wohnung kam ihm jetzt viel frischer vor, er verstand nicht, wie er die ganzen Jahre mit geschlossenen Fenstern hatte schlafen können.
     
    Die Katze blieb ein paar Wochen, dann verschwand sie und kam nie wieder.
     
    In Heckensieps Haus wohnten sechs Personen: er unter dem Dach, unter ihm eine Frau mit rotgefärbter Fransenfrisur, sie ging oft ins Solarium. Aus ihrer Wohnung drang, wenn sie kochte, Brandgeruch; neben ihr lebte ein Schwabe, der bei einer Schlägerei – er selbst sprach von einem Unfall – die Schneidezähne verloren hatte, die neuen künstlichen waren zu groß, weswegen er seltsam gepresst sprach. Ganz unten hausten ein blasser Mann mit Fistelstimme und seine Frau, Menschen mit seltsamen Frisuren – der Mann bürstete die Haare nach vorn in die Stirn, seine Frau föhnte sie nach hinten und befestigte die so entstehende Mähne mit Haarspray; wenn sie gemeinsam das Haus verließen, sah es aus, als bliesen um sie herum starke Winde aus verschiedenen Richtungen. Direkt neben Heckensiep wohnte ein alter Mann mit einem auffallend kleinen Kopf, der früher Abteilungsleiter bei Siemens gewesen war und viel hustete. Tagsüber stellte er seinen Wellensittichkäfig auf den Balkon, offenbar, damit das Tier frische Luft hatte; abends holte er ihn wieder in die Wohnung. Am Wochenende bekam er Besuch von seiner Tochter und ihrem Mann, der für ein japanisches Unternehmen arbeitete. Der alte Mann beschimpfte ihn deswegen und die beiden gingen meistens schon nach einer Stunde wieder. Einmal trat der alte Mann auf seinen Balkon und winkte Heckensiep mürrisch zu:
    »So eine Reisschüssel hat der Idiot sich gekauft«, sagte er, »kein Wunder, wenn hier alles den Bach runtergeht. Was für ein Dussel.«
    »Ein Mazda 626 ist ein zuverlässiges Auto«, rief Heckensiep zurück.
    »Hören Sie mal«, sagte der Nachbar und kniff ein Auge zu, »der Japaner ist nicht zuverlässig, lassen Sie sich das mal gesagt sein von einem, der sich auskennt. Die Japaner machen uns platt, und der Kerl arbeitet auch noch für sie. Ich hätte ihm einen Job bei Siemens besorgt, aber er wollte nicht, er hat gesagt, die zahlen besser, da habe er bessere Aufstiegschancen, und dann fährt er jetzt auch noch den Dingsda, den, na …«
    »626.«
    »Genau! 626! Was soll das sein, die Nummer von der Irrenanstalt?«
    Hier brach der alte Mann in ein Gelächter aus, das in heftigen Husten überging, und verschwand wieder in seiner Wohnung.
     
    Im Haus gegenüber wohnte ein türkisches Ehepaar, das die Kästen auf seinem Balkon mit roten und weißen Geranien bepflanzte. Sie gingen beide um sechs Uhr morgens mit eingezogenen Köpfen aus dem Haus und kamen genau zwölf Stunden später mit ebenso eingezogenen Köpfen wieder zurück.
     
    Heckensiep ging selten essen. An den Wochenenden putzte er die Wohnung (der Anblick der frisch gesaugten Auslegeware, in der die Bürste seines Staubsaugers Muster hinterlassen hatte, begeisterte ihn), setzte sich mit einem Bier auf den Balkon und schaltete den Fernseher an. Er sah, wie Helmut Kohl den französischen Präsidenten Mitterrand begrüßte, seine Stimme klang gepresst, als säße er auf ihr. Irgendwo sollten neue Raketen stationiert werden, jemand hatte eine Meinung dazu. Heckensiep schaltete den Fernseher wieder aus und beugte sich vorsichtig so weit über die Balkonbrüstung, dass er den Parkstreifen sehen konnte. Dort stand sein Auto, ein alter Datsun. Kein schöner Anblick.
     
    Heckensieps Eltern hatten sich getrennt, als er vier Jahre alt war. Sein Bruder Jochen zog zu seinem Vater, er und seine ältere Schwester Jessica blieben bei der Mutter. Als er fünf wurde, stellte der Kinderarzt eine Fehlsichtigkeit fest; er musste eine Brille tragen. Seine Mutter zog mit den beiden Kindern in eine Sozialbauwohnung am Stadtrand. Wenn er sich in die Mitte der Straße stellte und dort die Brille abnahm, konnte er das Haus nicht mehr sehen. Manchmal tat er das.
     
    Heiligabend feierten sie gemeinsam; der Vater verkleidete sich als Weihnachtsmann und rief, ob die Kinder denn artig gewesen seien. Die Kinder antworteten wahrheitsgemäß mit Nein. »Auch egal, ichmag euch trotzdem«, sagte der Vater und entfernte den Umhängebart. Die Mutter

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