Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Kehrblech den Beton von den Bildern fort, er rannte aufs Dach und brüllte die Arbeiter an, die sofort aufhörten, zu pumpen, aber am Ende des Tage sich im Atelierzimmer eine massive Betondüne gebildet, die das halbe Sofa und über zwanzig Bilder umschwemmte.
In der darauffolgenden Woche wurde die Ausstellung eröffnet. Kerklich, mit dem sich Gröberding darauf geeinigt hatte, nichts zu bezahlen, sprach kurz von den Tiefen eines archaischen, verlorenen Seins, es gab Sekt und Kanapees, und kein einziges Bild wurde verkauft.
Der Beton ließ sich nicht entfernen, er war schnell ausgehärtet, man hätte ihn mit einem Presslufthammer beseitigen müssen, und der hätte die altersschwache Holzkonstruktion der Deckenbalken gleich mit zerstört; also malte Gröberdings Frau die Betonnase gelb wie eine Düne an und stellte zwei Yuccapalmen daneben.
Ein melancholischer Mann von der Versicherung des Architekten Ärmler besuchte Gröberding, betrachtete mit einem misstrauischenGesichtsausdruck die dreißig beschädigten, einzementierten Gemälde und dann die Preisliste der Galerie. Die Versicherung überwies eine erstaunliche Summe, von der Gröberding und seine Frau sich einen Rustico in Italien kauften, in dem er in den folgenden Jahren erfolgreich Malkurse für deutsche Rentnerinnen gab. Später erfuhr er, dass der Galerist seine Ausstellung nur gemacht hatte, weil kein anderer Künstler zu finden war, den er ausstellen konnte, und er ganz ohne Ausstellungen Probleme mit der Steuer bekommen hätte, aber das war Gröberding egal. Er fuhr noch ein paarmal mit dem Mercedes nach Italien, aber als sie den Wagen in Florenz zum zweiten Mal aufbrachen, überließ er ihn dem Sohn eines Cousins, Marco Heckensiep, der gerade einen Platz als Chemiker in einem Labor gefunden hatte.
Das war er jetzt also: angestellt; Schild an der Tür, Marco Heckensiep, Abteilung 2, Entwicklung Haftstreifen, Büro mit Blick hinten raus auf das Rolltor der Fertigungshalle, die Mülltonnen und die Chemikalientanks, wenn da einer mal reinfährt, dachte er, dann fliegt das hier alles in die Luft, aber andererseits: Warum sollte da einer einfach so reinfahren? Sie hatten das Büro für ihn neu gestrichen, aber die Gardinen nicht abgenommen; dahinter war die Wand hellbraun, und dort, wo sie gestrichen hatten, war der Filzteppich vollgekleckert. Er versuchte, die Farbe mit einem Messer aus der Teeküche wegzukratzen, aber das ging nicht.
Was tun? Raus auf den Gang: rumbrüllen, was ist das hier für eine Sauerei … Aber das tat er natürlich nicht, er war ja nicht der Chef, er war neu hier im Angestelltenkosmos und hierarchisch gesehen ganz weit unten: Keiner da, den er anschreien könnte, höchstens den Maler, aber der war längst verschwunden; Handwerker sind immer schon weg, wenn man entdeckt, was sie angerichtet haben. Also nicht schreien.
Heckensiep war für die Entwicklung von Straßenmarkierungsstreifen zuständig, er befasste sich mit den weißen Haftstreifen und den gelben, die sie für die Baustellen brauchten; er arbeitete bis spätabends.Einmal in der Woche kaufte er bei Aldi Saft, Brot, Senf und Wurst. Senf aß er in großen Mengen; Nahrungsmittel ohne Senf schmeckten ihm nicht.
Das dreistöckige Haus, in dem er wohnte, war mindestens hundert Jahre alt. Im Vorgarten stand ein Apfelbaum, gegenüber lag eine Neubausiedlung. Die Häuser der Siedlung waren gelb verklinkert.
Von seinem Balkon aus sah Heckensiep in die Krone des Baums, der im Sommer mit großer Mühe drei bis vier Äpfel hervorbrachte, die, ungeschickt verteilt wie wahllos befestigter Weihnachtsschmuck, an ziellos wuchernden Zweigen hingen.
Hinter dem Haus begann eine Fußgängerzone mit grau-rot gemusterten Betonblumenkübeln, in denen vereinzelt Stiefmütterchen wuchsen; Fußgänger sah man dort nur selten.
Eines Tages tauchte auf Heckensieps Balkon eine Katze auf. Ihr Fell war räudig; sie hatte eine Wunde am Rücken. Als er sie anfassen wollte, fauchte sie und verkroch sich unter einen Gartenstuhl. Dort blieb sie bis zum Abend sitzen und blinzelte durch die Balkontür ins Wohnzimmer.
Heckensiep ging zu Aldi und kaufte eine Dose Sheba. Als er zurückkam, war die Katze verschwunden. Er öffnete die Dose und lockerte die klebrige Masse mit einer Gabel, bis sie schmatzend auf den Porzellanteller fiel, dann stellte er den Teller auf den Balkon.
Er wartete. Nach ein paar Tagen hatten Vögel das Futter angepickt; die Katze kam nicht zurück. Irgendwann begann das
Weitere Kostenlose Bücher