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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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drückte die blassen Würstchen, die an untrainierte Körper erinnerten, so lange auf den Grill, bis das Fett in die Glut tropfte, und als er später, benebelt von den Farbdämpfen und dem Grillrauch, wieder in seinen Wagen stieg, stellte ihm die Mutter das übliche Paket für die Woche auf den Beifahrersitz – kalte Schweinekoteletts, die sie in Alufolie eingewickelt und dann zu Dreierpaketen in blaue Gefrierbeutel verpackt hatte.
     
    Als er am Abend seine Wohnung betrat, gefiel ihm die dortige Versammlung von Möbeln – ein Stahlrohrbett, ein Kiefernholztisch, ein dazu passender Schrank – nicht mehr. Am nächsten Samstag fuhr er zu Ikea. Er lief durch Hallen voller Sofas, die eigenartige Namen trugen, sah matt lächelnde Familienväter, die Regalbretter und braune Kartons und Lampen und Yuccas vor sich herschoben wie eine ungeheure Last; sah Alleinstehende, die nur Kerzen und Wolldecken auf ihren Wagen liegen hatten, und Paare, die, sichtlich angestrengt vom Wagnis einer ersten gemeinsamen Wohnung, verschiedenste Dinge aus haushohen Industrieregalen zerrten, hin und her wendeten und sie einander schließlich hinhielten, um zu entscheiden, ob sie in die Schnittmenge ihrer jeweiligen Vorstellungen passten oder nicht. Er sah die Einkaufswagen an der Kasse, jeder Wagen ein unfreiwilliges Selbstporträt dessen, der ihn schob: Eine kaufte einen Kinderstuhl und einen Stoffelch, eine andere nur eine warme Decke und hundert Kerzen.
    Marco Heckensiep kaufte nichts.
    In der darauffolgenden Woche fuhr er in ein anderes Möbelhaus, um sich Betten anzuschauen. Dort lernte er Isa kennen. Sie arbeitete als Verkäuferin, trug weiße Stiefel und schwarze Leggins wie Mai Tai im Video zu »Body and Soul« und empfahl ihm sofort einen Futon (einen Futon, dachte er, hätte ich ja nun auch bei mir gegenüber kaufen können).
     
    Sie kam aus einem Dorf bei Erlangen; ihr Vater wollte nicht, dass sie ausging, er wollte nicht, dass sie sich mit Männern traf, irgendwann hatte sie ihm einen Brief geschrieben, in dem stand, dass sie ihn sehr liebe und an ihn denken werde, und war in die Stadt abgehauen. Jetzt war sie als Verkäuferin hier, es gab kaum einen Satz, zu dem sie nicht lachte.
    »Probieren Sie mal«, sagte sie und lachte.
    »Ist total schön zum Liegen, so flach. Man sinkt nicht so ein! Hihaha! Viel besser für den Rücken.«
    Die ist ja wahnsinnig, dachte Marco Heckensiep, was gibt es da zu lachen; die macht sich über mich lustig.
    Der Futon war hart wie ein Brett. Er war das Gegenteil all dessen, was Marco Heckensiep sich von einem neuen Bett erhofft hatte, aber er kaufte ihn. Weil das Möbelhaus sowieso gerade schloss, half sie ihm, den Futon im Mercedes zu transportieren: Sie saß auf dem Verdeckkasten und hielt das Gestell fest.
     
    Zwei Wochen später zog sie bei ihm ein. Sie schenkte ihm ein Poster, das die Skyline von New York bei Nacht zeigte, und hängte eine rote Stahllamellenjalousie vor das Bild. Jetzt sah es aus, als sei draußen New York. Es war Juni. Sie planten einen Urlaub.
    Sie fuhren mit dem Mercedes zum Zelten, auf einen Campingplatz am Meer. Die Camper schauten misstrauisch. Ein Luxusauto mit einem erbärmlich kleinen, roten Zelt davor hatten sie noch nicht gesehen, die meisten Camper hatten einen möglichst großen Anhänger und ein normales Auto, mit einem Achtzylindermercedes, vor dem ein Kriechzelt stand, konnten sie nichts anfangen, die Kombination erschien ihnen völlig unlogisch: Wer waren die beiden hier bitte – ein Unternehmer, der mit seiner Geliebten durchgebrannt war, ein Betrüger, dem nur sein Auto geblieben war, ein Terroristenpärchen auf der Flucht in einem gestohlenen Sportwagen? Heckensiep brachte die soziale Ordnung des Campingplatzes durcheinander, auf dem es, wie in einer richtigen Stadt, verschiedene Viertel gab: das bürgerliche Westend, wo die teuren Tabbert-Campinganhänger mit den dicken Gardinen und Polstern und Bauernmöbelimitaten standen; dann die Bronx des Platzes, wo die Surfer und die Kiffer zwischen ihren Schrottkarren in Zelten hockten, in denen es nach Dosenravioli und alten Socken roch, und schließlich die Rive Gauche des Campingplatzes, wo die Studenten mit den alten VW-Bussen parkten und Suhrkamp-Bändchen lasen und wo die Statussymbole des Westends, Vorzelte, Campingsitzgarnituren, Fernseher und andere Anzeichen von Sesshaftwerdung verpönt waren. Dort parkte Heckensieps Mercedes. Dort stand sein Zelt, neben einem alten VW-Bus, der von sieben Abiturienten

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