Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
Vom Netzwerk:
wenn es regnete. Er schloss das Verdeck, schloss den Hund in die Wohnung ein und schaute durch das geschlossene Fenster in den Regen, der am Vormittag zu fallen begann. Er fuhr nicht mehr offen. Isa fand einen neuen Job und zog aus; er sah sie jetzt nur noch einmal in der Woche. Die anderen Tage blieb er bis mittags im Bett liegen, dann ging er mit dem Hund raus und kaufte Hundefutter und Bier.
    Auf dem Rückweg sah er die falsch verklebten gelben Streifen, sah Straßenkreuzungen, an denen sich die Markierungen wellten oder ganz verschwunden waren; die Autos hatten vor allem nachts keine Orientierung mehr, sie konnten in den Gegenverkehr geraten, es war nur eine Frage der Zeit, bis etwas passieren würde. Frontalkollisionen waren die schlimmsten, das wusste Heckensiep.
    Manchmal, wenn er betrunken war, versuchte er, Isa einen Brief zu schreiben, aber es ging nicht, weil er zu betrunken war. Er begann, den Hund mit ins Bett zu nehmen. Nachts lag er wach und streichelte den Kopf des Tieres. Das Jahr verging, ohne dass Heckensiep eine neue Anstellung fand; seine Ersparnisse reichten nur noch ein paar Monate.
     
    Im Januar 1987 wurde Summer angefahren; er war aus dem Hausflur auf die Straße und einem anderen Hund hinterhergerannt.Heckensiep fand ihn in einer Blutlache. Er gab keinen Ton von sich; Heckensiep sah nur seine überraschten, großen Augen, den zuckenden Hinterlauf, das blutige, weiche Fell. Sein Atem ging schneller. Er hatte den Blick auf Heckensiep gerichtet und versuchte, sich aufzurappeln, aber er fiel sofort wieder um.
    Heckensiep hob das Tier hoch und trug es (wie eine Braut, dachte er, wie eine Braut) in den Mercedes, das Blut lief über die Ledersitze in den Fußraum. Die Tierärztin erklärte, dass das Tier mehrere Rippen und den Hinterlauf gebrochen habe. Er würde nicht mehr laufen können, es sei denn, man operiere ihn aufwendig.
    Heckensiep stand lange vor der Klinik. Er rauchte ein halbes Päckchen Zigaretten, schaute den Mercedes an und dann den Hund. Er hatte noch tausendfünfhundert Mark auf dem Konto. Er gab den Mercedes seiner Schwester; sie gab ihm Geld für die Operation.
     
    In den folgenden Monaten entwickelte er eine Neurose. Er begann, Autofahrer anzuzeigen, die auf weißschraffierten Flächen parkten. Er fand jeden eindringenden Geruch unerträglich. Tagelang saß er am Fenster und starrte auf die Straße, sah zahllose Männer, zahllose Frauen, aber dieser Anblick war kein Versprechen mehr für ihn. Einer dieser schönen Menschen, dachte Heckensiep, hat bestimmt Aids. Einer dieser Menschen, die dort Gemüse kaufen, einparken, sich küssen, in der gelben Zelle telefonieren, Geld holen, bringt den Tod. Im Sommer 1989 bekam er einen Nervenzusammenbruch und wurde in eine Klinik eingeliefert. Er blieb dort ein paar Monate; den Hund nahm seine Mutter zu sich.
     
    Als Marco Heckensiep wieder entlassen wurde, war die Mauer gefallen. Er sah in den Städten ostdeutsche Autos. Es gab neue Produkte, die er nicht kannte, Musik, die er noch nie gehört hatte. Er fühlte sich, als sei er nach einem Jahrzehnt wieder in die Zivilisation zurückgekehrt; nur der Hund freute sich und wedelte mit dem Schwanz, als sei nie etwas passiert.
     
    Jessica Heckensiep benutzte den Mercedes ihres Bruders kaum. Sie fuhr ein paarmal mit dem Auto ins Kino, plante eine Urlaubsfahrt, die sie nie machte, und wenn sie abends den Wagen nahm, ließ sie ihn nachts oft vor den Bars stehen, in die sie mit ihren Freunden ging. An einem dieser Abende lernte sie einen Mann kennen. Sie hatte so viel getrunken, dass sie sich am nächsten Tag nicht mehr genau daran erinnern konnte, wie der Mann ausgesehen hatte, der, kurz bevor sie ging, an ihren Tisch gekommen war und mit ihnen geredet hatte – ein Freund ihrer Freundin offenbar, der in Bremen beim Radio arbeitete; die beiden hatten sich herzlich begrüßt und einander Komplimente gemacht. Der Mann aus Bremen hatte, jedenfalls in ihrer Erinnerung, Dinge zu ihr gesagt, die ihr intelligent und überraschend vorkamen. In der Bar spielten sie »The Sweetest Girl« von Madness, ein Lied, das sie sehr mochte.
    Als sie ging, bat der Mann sie aus einem Grund, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte, der ihr aber in diesem Moment einleuchtend erschienen war, um ihre Telefonnummer.
     
    Am nächsten Tag rief er an. Er hatte eine angenehme Stimme, und das, was er erzählte, fand sie unterhaltsam. Sie verabredeten sich für ein weiteres Telefonat am nächsten Tag, und von da an

Weitere Kostenlose Bücher