Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
besiedelt wurde, und jede Nacht riss Heckensiep das immergleiche schabende Geräusch aus dem Schlaf, manchmal gegen zwei Uhr morgens,manchmal gegen fünf Uhr, wenn die Insassen des Busses zur Toilette mussten – Rrrrrrrtttt-gattack –, das Geräusch der aufgerissenen, dann einrastenden VW-Schiebetür, in deren Schienenführung sich Sand und Öl zu einem knirschenden Gemenge verbunden hatten. Jede Nacht musste einer aus dem Bus aufs Klo, einmal stolperte einer über eine Spannleine von Heckensieps Zelt und schlug dumpf neben dem Mercedes im Sand auf, der Zeltgiebel sackte um einen halben Meter ein; wenig später musste Heckensiep sich aus einem unübersichtlichen Haufen aus Stoff, Gestänge, Gaskochern und Bratpfannen herauskämpfen und die Häringe neu setzen. Sie verbrachten die Tage am Strand und auf dem Platz unter den Kiefern, wo sie im offenen Mercedes saßen und Musik hörten und zuschauten, wie die Deutschen den Weg vom Grill zum Vorzelt mit leeren Bierflaschen dekorierten; sie hörten aus den Duschkabinen das Schreien ungewaschener Kinder, die ungewaschen bleiben wollten, irgendwo spielte einer Gitarre, es roch nach Gas und angebrannten Würstchen und Sonnencreme.
Am vierten Tag stand ein unförmiger Hund neben ihrem Auto. Sie gaben ihm Fleisch zu fressen, danach wich er nicht mehr von ihrer Seite. Als sie nach Hause kamen, waren sie ein Paar und hatten einen Hund, den sie Summer nannten und der ihnen, misstrauisch, sie könnten ihn irgendwo aussetzen, im Abstand von maximal einem Meter folgte.
Marco Heckensiep schlief in diesen Jahren auf einem Futon, fragte Isa Vokabeln ab, die sie für ihren Italienischkurs lernen musste, und kaufte ihr, weil sie Italien so liebte, eine Espressomaschine, die wie eine Klospülung klang, wenn man Kaffee machte. Er sehnte sich insgeheim nach Bier; immer den Wein zu trinken, den sie kaufte, sagt er, ging ihm richtig auf die Nerven, der Wein bekam ihm nicht, aber sie hatte das Bier aus dem Kühlschrank verbannt (das macht dich nur dick, meinte sie und lachte).
Marco lernte ihren Vater kennen, mit dem sie seit ein paar Monaten wieder Kontakt hatte. Er war als Kriegsgefangener auf der Krimgewesen und litt infolge einer Schädelverletzung unter paranoiden Attacken; wenn er schlief, sah er Russen auf sich zukommen, hörte Granaten explodieren und die klatschenden Einschüsse der Tiefflieger.
Bei ihrem zweiten Treffen begrüßte der Vater Heckensiep mit einem Jagdgewehr in der Hand. Er hatte einen roten Kopf und stand hinter einer kleinen Tujafichte, die ihn zu großen Teilen verdeckte. Heckensiep hatte ihn nicht sofort entdeckt, und als er ihn sah, war es zu spät, einfach wieder umzudrehen. Der Vater hatte das Gewehr geputzt, die Ölflasche stand auf dem Gartentisch. Er versuchte, mit öligen Fingern den Deckel zu fassen, aber der Deckel entglitt ihm wie ein Zitronenkern. Als er Heckensiep sah, fuchtelte er mit dem Gewehr in der Luft herum, lachte irre, hielt den Lauf mittig auf Heckensieps Hose, schrie, er mache doch nur Spaß; die Sonne blitzte auf seinem Brillengestell, er lachte wieder, Heckensiep sah sein überkrontes Gebiss. Dann klopfte er ihm gönnerisch auf die Schulter und bot ihm einen Schnaps an (und jetzt einen schönen Slibowitz, was, junger Mann?).
Es gab viele Wespen in diesem Sommer; man hörte sie unten in den Plantagen, wo sich das Licht im Geäst der Ostbäume brach und über den herabgefallenen Äpfeln ein schwerer, süßer Geruch hing . Sie fuhren viel mit offenem Verdeck, im Radio lief »Ring of Ice« von Jennifer Rush , und er erzählte ihr von dem Mercedes: dass der 3,5-Liter-Motor in seinem Wagen noch volle zweihundert PS leiste, nicht wie bei späteren Modellen hundertfünfundneunzig PS; dass sein Wagen eine 4-Gang-Automatik mit hydraulischer Kupplung habe, ein Getriebe, das bei späteren Modellen durch eine 3-Gang-Automatik mit Wandler ersetzt worden sei. Meistens schlief sie dabei ein, oder sie tat so.
Sie gingen gemeinsam schwimmen und richteten die Wohnung ein, und als die Wohnung eingerichtet war, gingen sie zu einem WG-Fest bei Jochen und stritten sich zum ersten Mal. Isa mochte die Leute nicht, und die mochten Isa nicht. Die Frau sähe ja aus!, sagte Bernd,plappere wie ein Wasserfall, und nur Unsinn! Zu den nächsten Festen ging Marco Heckensiep wieder allein.
Im März feierten sie in einer alten Schule auf dem Land. Er wachte am Morgen im Flur auf, es war kalt, und er hatte fast nichts an; er sah in Nahaufnahme
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