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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Stunde.
     
    Thomyks Frau hatte, als sie noch seine Frau war, gern Briefe geschrieben (nur ihm hatte sie nach ihrer Flucht nie wieder geschrieben – vielleicht, hoffte Thomyk, waren ihre Briefe aber auch nur abgefangen worden). Er betrat einen Schreibwarenladen und wählte zwanzig leicht gerippte Bögen und zwanzig Umschläge in sanften Apricottönen aus, dazu einen silbernen, schweren Stift. Die Verkäuferin lächelte eisern und reichte ihm seine Tüte und eine Rechnung über achtundsechzig Mark. Thomyk lachte heiser und überlegte, ob er die Tüte nehmen und aus dem Laden rennen sollte. Dann verspürte er einen Drang, der Verkäuferin einen zweiundzwanzig Mark teuren Bleistiftminenhalter in die Nase zu bohren, aber er tat es nicht. Er lächelte tapfer und zupfte einen braunen und einen grünen Schein aus der Tasche und verließ den Laden. Er fühlte sich nicht gut. Seine Haut begann zu jucken.
     
    Er wanderte an einer Bude vorbei, in der halbe Hähnchen in einem Drehgrill brutzelten und ein Mensch mit einer Machete Fleisch von einem Drehspieß schabte. In einem heruntergekommenen Gebäude wurden Tanzkurse für Studenten angeboten. Thomyk blieb stehen und starrte durch das Fenster des Tanzsaals. Ein paar Männer übten mit schweren, schleifenden Schritten einen Paso doble, blasse, von der Natur benachteiligte Studenten, denen man vermutlich gesagt hatte, hier könnte es klappen mit einer Frau. Weil sich genau das aber offenbar herumgesprochen hatte, ging keine einzige Frau zu den Tanzkursen, und so mussten die Sitzengebliebenen miteinander tanzen.
    Thomyk ging weiter. Er betrachtete sich in der Spiegelung eines Schaufensters. Zwischen Pelzmänteln und schwarzen, polierten Stiefeln mit handgeschriebenen Preisschildern entdeckte er einen kalkbleichen, aufgeschwemmten Penner; es war sein Spiegelbild.
     
    Neben dem Schaufenster gab es ein Sonnenstudio. Die Plakate an der Wand zeigten fröhliche braungebrannte Paare unter Palmen, die in enger Badekleidung laut lachend in ein schäumendes Meer sprangen. Thomyk betrat das Sonnenstudio; in dem Laden war kein Mensch. Eine Neonröhre flackerte; er warf ein Fünfmarkstück in den Schlitz vor einer Kabine. In der Kabine roch es säuerlich; die durchsichtige Liegefläche, unter der man die Neonröhren erkennen konnte, war mit der gleichen transparenten Folie überspannt, die man neuerdings auch im Osten über Essensreste breitete, bevor sie in den Kühlschrank kamen. Er zog sich aus und legte sich auf die kühle Fläche, zog den Deckel des Turbobräuners zu und schloss die Augen. Es war das erste Mal, dass er eine Sonnenbank besuchte. Rechts von seinem Kopf blinkte die Zahl 15, dann wurde es sehr hell und warm, und ein Ventilator blies warme Luft und Musik von Eros Ramazotti in den leuchtenden Tunnel. Er spürte, wie sein Gesicht sich aufheizte, er dachte an das Grillhähnchen an der Ecke, dann an das braungebrannte Paar auf dem Plakat, und er ersetzte den Kopf des Mädchens durch den der Frau, die einmal seine Frau gewesen war. Er spürte, wie ihn eine sehr angenehme Wärme durchströmte, als das Licht plötzlich ausging, der Luftzugaufhörte und es wieder kühl wurde. Thomyk klappte den Deckel des stromlinienförmigen Grillsargs hoch, zog sich an und schaute in den Spiegel, der neben dem Plakat des glücklichen Paares hing. Mit dem Mann auf dem Plakat hatte er keine große Ähnlichkeit. Sein Gesicht war dunkelrot gefleckt, über seiner Lippe bildeten sich Pusteln. Er trat ins Freie, die Luft kühlte die Haut, und das brennende Jucken verschwand, aber die roten Flecken blieben.
    Er betrat eine Apotheke und kaufte eine Dose Penatenpuder, ging in die Toilette eines Burger-Restaurants und verteilte den Puder auf den roten Stellen, eine Entscheidung, die er sofort bereute, denn der Puder trocknete die gereizte Haut aus, die sich nun schuppenartig ablöste; er betrat erneut die Apotheke und kaufte eine Feuchtigkeitscreme, die die Schuppen aufweichte und die roten Hautflecken dunkelrot glänzen ließ. So ging er in das Café, in dem Radonovicz auf ihn wartete.
    Radonovicz hatte sich eine Zeitung gekauft, die er langsam zusammenfaltete, als Thomyk kam.
    »Sag nichts. Wir fahren bitte nicht zu ihr. Ich möchte sie doch nicht sehen«, sagte Thomyk leise.
    Sie tranken ein Bier in einer Kneipe, die Klo hieß. Danach gingen sie in eine Karaokebar; ein Mädchen, dessen Akzent ihnen auf beklemmende Weise bekannt vorkam, sang »I Was Made for Loving You«. Der Entertainer nahm ihr das

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