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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Öl nachzufüllen. Der Wagen hatte einen Kolbenfresser.
     
    »Dann«, sagt Patrick, »habe ich ihn zum Händler gebracht. Der hat ihn restauriert, alle Spoiler abmontiert, eigentlich schade. Und dann verkauft, nach Berlin.«
    »Guter Preis?«
    »Ging so.«
    »Und sonst?«
    »Nüscht. Kein Benz mehr.«

1999
Biskaya
    Kilometerstand 227.652
     
     
    Tomiko fuhr den Wagen nur einen Sommer lang. Es gefiel ihr, dass er kein Dach hatte, ansonsten interessierte sie sich nicht für Autos. Sie hatte ihn gekauft, weil es ein Mercedes war, sie wollte auf der Strecke nach Biarritz keine Probleme mit dem Motor oder etwas anderem haben.
     
    Sie war mittags losgefahren und nachts in Paris angekommen; als sie am nächsten Morgen aus dem Fenster ihres Hotels schaute, regnete es; aus der Regenrinne tropfte das Wasser in die Geranientöpfe vor ihrem Zimmerfenster und hinterließ Krater in der weichen Blumenerde; die roten Schornsteintöpfe der Dächer lagen in einem nebligen Dunst. Sie ging zurück ins Bett und schlief bis elf.
    Als sie vom Boulevard Périphérique auf die Autobahn nach Orléans abbog, regnete es immer noch. Hinter Tours hielt sie an einer Tankstelle und öffnete die Motorhaube, um den Ölstand zu prüfen, wischte den Ölstab mit einem grünen Papiertuch ab und wusch sich die Hände im Wischwassereimer; dann startete sie den Wagen und schoss über den Beschleunigungsstreifen auf die linke Spur.
     
    Sie besuchte ihren Vater. Er war Antiquitätenhändler und lebte, seit er das Geschäft in der Stadt aufgegeben hatte, am Meer. Sie trafen sich einmal im Jahr in seinem Strandhaus; ihr Zwillingsbruder Yutaka war schon seit einer Woche dort und lernte für sein Examen.
     
    Das Thermometer am Armaturenbrett zeigte an diesem Tag knapp fünfundzwanzig Grad an, der Drehzahlmesser stand bei viertausend Umdrehungen. Kurz vor Poitiers brach die Sonne durch die Wolken.
     
    Ihr Vater hieß Percy. Er hatte Ethnologie studiert und in den sechziger Jahren in Kenia und Gabun gelebt, und als er nach Europa zurückgekommen war, hatte er sich auf den Handel mit afrikanischer und japanischer Kunst spezialisiert. Auf einer seiner Reisen nach Japan hatte er ihre Mutter kennengelernt. Tomiko und Yutaka hatten keine Erinnerung an sie; ihr Vater hatte sie aufgezogen.
    Wenn Tomiko und Yutaka nicht im Kindergarten waren, nahm er sie mit ins Geschäft, wo sie zwischen den Antiquitäten spielten, und wenn sie dabei zu wild wurden, sperrte er sie auf die Rückbank seines Jaguars, der hinter dem Laden in einem Hof parkte. Er nannte sie Tom und Yuta. Einmal alle sechs Wochen schnitt er ihnen im Badezimmer die Haare zu identischen Frisuren und freute sich, dass die Kunden sie nicht auseinanderhalten konnten.
     
    Tomiko fuhr über den Pont d’Aquitaine; die Garonne und die hellen Kirchtürme von Bordeaux tauchten neben dem Seitenfenster auf. Am Rastplatz bei Labouheyre stieg sie aus, setzte sich auf die Motorhaube und rauchte eine Zigarette. Es hatte aufgehört zu regnen, der Sand war nass und dunkel, und es roch nach Pinienharz und feuchtem Holz. Sie klappte das Verdeck auf; die letzte Stunde fuhr sie offen.
     
    Das Haus stand oben auf einer Düne, direkt am Strand. Von der Zufahrt aus konnte man das Meer sehen; im Winter wehten die Stürme den Sand über die Veranda und auf die Straße, und die Gischt zerfraß das Holz der Fensterläden und blätterte die weiße Farbe ab. Bei Sturm schlugen die Fensterläden gegen die Holzpfeiler und brachten die Wände zum Wackeln; das Haus zerstörte sich selbst.
    An der Straße, wo der Pinienwald in die Düne überging, hatten sich ein paar Baracken mit Restaurants und Läden angesiedelt. Abends saßen die Surfer im L’œil dans le bleu und tranken Pernod oder Bier,während ihre schwarzen Gummianzüge auf den Motorhauben eines Renault-Transporters trockneten; im Sommer kamen die Campingurlauber auf den Zeltplatz im Wald; an der Straße wurde dann eine rostige alte Achterbahn aufgebaut, die aussah, als würde sie die Saison nicht mehr überleben; im September verschwand sie mit den Urlaubern, und zur Überraschung aller stand sie im nächsten Juni wieder da.
     
    In der Mittagshitze war der Ort am stillsten. Die Urlauber flüchteten sich in den Schatten der Häuser, die versprengt im Sand der breiten Düne standen, oder sie verzogen sich in die Pinienwälder. Manchmal hörte man das Knattern eines vorbeifahrenden Mofas, manchmal den Lärm eines fernen Rasenmähers oder die Arbeiter, die weiter unten am Wasser

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