Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
bekommen.
Andrej und Igor aßen gerade einen Dönerkebab. Beide trugen Krawatten, sie sahen wirklich wie ernstzunehmende Geschäftsleute aus. Sie hörten sich Radonovicz’ Plan an, verabschiedeten sichformvollendet und telefonierten am nächsten Tag mit ihrem Auftraggeber. Die Holländer wurden zu einem Verkaufsgespräch gebeten, zu dem sie gern erschienen; ihr Konsortium hatte vor, die restlichen Immobilien des abgewickelten Betriebs gegen Höchstgebot zu verkaufen.
In den kommenden Wochen wurden zwei leere Stallungen und das alte Wirtschaftsgebäude angezündet; im Süden von Rotterdam flog ein leerer Schweinetransporter in die Luft, eine elegante Villa in Zaandam verlor zahlreiche Scheiben, im Vorgarten fand die Polizei einen großen Gouda, der mit einer Gryazev-Shipunov durchsiebt worden war, eine Botschaft, die die Adressaten verstanden. Zwei Tage später wurde siebenhundertachtundsechzig Kilometer weiter östlich der Journalist Bergorius-Wandenberg in einer Seitenstraße von sehr muskulösen Armen gepackt, hinter ein paar Recyclingtonnen gezerrt und dort krankenhausreif geschlagen. Er schleppte sich aufs Polizeirevier und erstattete, so gut er ohne seinen rechten Schneidezahn sprechen konnte, Anzeige gegen unbekannt.
»Name?«, fragte der Polizist.
Bergorius-Wandenberg gab seinen Namen, den Tathergang und die Blessuren an, die ihm die Begegnung eingetragen hatte.
»Zahn fehlt«, notierte der Polizist.
»Daf waren die Ruffen«, lispelte Bergorius-Wandenberg.
»Russen«, wiederholte der Beamte. »Sind Sie sicher?«
Als Bergorius-Wandenberg heftig nickte, schauten sich die Polizisten an und griffen nach dem Telefonhörer.
»Dann ist das organisierte Kriminalität. Das müssen wir weiterreichen, da können wir nix machen.«
Die Ermittlungen verliefen erwartungsgemäß im Sand.
Die Russen präsentierten einen Investor, der einmal Anwalt in Düsseldorf gewesen war und mit dem sie sehr erfolgreich in Leipzig und Berlin Gewerbeimmobilien aufkauften, und die Holländer überließen ihnen die Immobilie zu einem sehr günstigen Preis.
Man entwickelte zusammen mit Radonovicz einen Businessplan,und er wurde Leiter des Betriebs und stellte einen Teil der ehemaligen Mitarbeiter wieder an. Sie gaben ein Fest für die Russen und holten sogar die alten Banner wieder vom Dachboden, auf denen »Mein Arbeitsplatz. Mein Kampfplatz für den Frieden« und »Lang lebe der Garant unseres Friedens, der beste Freund des deutschen Volkes« standen.
Einmal fuhr Radonovicz mit dem SL zum Grab von Thomyk und schüttete eine Flasche Bier auf die feuchte Erde; er hatte das im Fernsehen gesehen, und es hatte ihm gut gefallen. Im Januar bekam er einen Dienstwagen; den Mercedes schenkte er Patrick. Der hätte sich lieber einen amerikanischen Wagen gekauft, eine Corvette oder eine Dodge Viper mit Sidepipes oder so etwas, aber dafür hatte er kein Geld, und der Mercedes war nicht teuer und immerhin ein Achtzylinder. Also organisierte er ein paar Anbauteile, einen alten Frontspoiler von AMG, eine Gummilippe für den Kofferraumdeckel, sogar eine Lufthutze ergatterte er und schweißte sie am Wochenende in der Garage seines Vaters auf die Motorhaube – die Hutze, sagt er, war eigentlich das Beste an dem Wagen, in ganz Deutschland gab es keinen SL mit einer Lufthutze.
Nachdem er alles an den Mercedes geschraubt hatte, gefiel ihm der Wagen ganz gut. Am Anfang wusch er ihn jedes Wochenende, aber als im Sommer ein klebriger Film von den Linden tropfte, wurde der Lack matt. Ein Lastwagen riss ihm beim Wenden die Flanke auf, der Frontspoiler spaltete sich beim Aufprall gegen einen zu hohen Bordstein in zwei Teile, von denen einer abfiel.
Patrick Radonovicz prügelte den Benz über die winterlichen Autobahnen, zwang ihn im Herbst durch den Schlamm der Feldwege, trieb ihn mit rauchendem Getriebe durch Schneewehen, fuhr Tausende von Kilometern über staubige, vereiste, lehmige Pisten, holte Frauen ab und Freunde und küsste, während er an der Elbe parkte, eine Dresdnerin, die dabei auf dem Beifahrersitz angeschnallt blieb. Hinter den Sitzen stapelten sich Colaflaschen, Zigarettenschachteln, Zeitschriften, Burger-Verpackungen, leere Kaffeebecher und hastig zugedrehte Wischwasserbehälter, aus denen eine klebrige blaue Flüssigkeit auf die Rückbank lief.
Schließlich verabschiedete sich nach einer mehrstündigen nächtlichen Vollgasfahrt bei Bad Köstritz der Motor mit einem metallischen Knall; Patrick Radonovicz hatte vergessen,
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