Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
die Blechdächer der Baracken ausbesserten. Manchmal tauchte ein Propellerflugzeug auf, das ein Werbetransparent zog, manchmal platzte das Scheppern eines Megafons in die Stille, und ein vorbeifahrender Lieferwagen warb für die Grillfeste, die sie jeden Freitag im Ort veranstalteten. Meist aber war alles still, und man hörte nur das Knacken des trockenen Holzes und das ferne Lärmen der Zikaden.
Tomiko parkte den Mercedes neben dem Range Rover ihres Vaters. Vor dem Haus stand noch ein weiterer Wagen, ein Audi mit deutschem Kennzeichen, in dessen Kofferraum zwei Golfausrüstungen lagen. Ihr Vater vermietete im Sommer einige Zimmer in seinem Haus; das Auto gehörte offenbar den Gästen.
Ihr Vater saß auf der Terrasse. Er trug dunkelblaue Wildledermokassins und einen Schlangenledergürtel, sein graues Brusthaar schaute aus dem Leinenhemd heraus. Er begrüßte Tomiko mit einem Kuss auf die Stirn; dann trug er ihre Tasche ins Haus.
Im Haus war es dunkel, es roch nach kaltem Holz und erloschenem Kamin. Eine glänzend schwarze Holztreppe führte zu den Gästezimmern, auf dem Terrazzoboden im Erdgeschoss standen vier Mingvasen und zwei balinesische Holzstühle, über dem Kamin hingen afrikanische Masken. Eine Flügeltür öffnete sich in das Studierzimmer, wosich Ausstellungskataloge und vergilbte Fachbücher über afrikanische Plastik stapelten. Auf dem Arbeitstisch lag eine Holzmaske, aus der Nase schauten glatte, dunkle Haare heraus.
Yutaka lag auf dem Sofa am Kamin. Er hatte ein Handtuch um die Hüfte geknotet und blätterte in einer alten Fernsehzeitung. Er war braungebrannt und exakt so groß wie Tomiko; wenn man die beiden nebeneinander sah, musste man an eine Entscheidungsschwäche der Natur glauben, die offensichtlich bis zum letzten Moment zwischen »eineiig« und »zweieiig« geschwankt hatte. Yutaka hatte die gleiche Figur wie Tomiko, die gleichen schmalen Hüften, und er ging genau wie sie, mit einem leicht federnden Gang, als habe die Schwerkraft plötzlich unmerklich nachgelassen. In diesem Sommer hatte Yutaka längere Haare als Tomiko; seine Stimme war ungewöhnlich tief für eine so kleine Person.
Sie hatten sich lange nicht gesehen; Tomiko fiel Yutaka um den Hals, und es sah aus, als habe sich jemand auf gespenstische Weise verdoppelt, um aus sich heraustreten und sich selbst umarmen zu können.
Die beiden Gäste, Jana und Christian Minderberg, kamen aus Frankfurt, wo er für eine Telefongesellschaft Kunden akquirierte; sie arbeitete für ein Auktionshaus und machte Geschäfte mit Tomikos Vater, und er hatte sie eingeladen, auf der Rückfahrt von ihrem Golfurlaub in Spanien ein paar Tage in seinem Haus zu verbringen. Jana war groß und ging leicht gebückt, eine Folge jahrelanger Bemühungen, sich bei Gesprächen zu kleineren Menschen hinunterzubeugen und insgesamt nicht übergroß zu erscheinen. Vielleicht kam es aber auch vom Hockeyspielen; sie war in Pinneberg aufgewachsen und einmal sogar in der Endauswahl für das deutsche Hockeynationalteam gewesen. Sie hatte kräftige Oberschenkel wie alle Hockeyspielerinnen und ein breites Kreuz, über dem ein Pferdeschwanz wippte. Ihr Mann Christian war fast zwei Meter groß und hatte die massige Gestalt eines Sportlers, der mit dem Sport aufgehört hat. Beim allgemeinen Händeschüttelnstand sein Mund leicht offen, als sei das Kinn auf halbem Weg eingerastet. Er wirkte weniger trainiert als seine Frau, und das cremefarbene Polohemd spannte über einem leichten Bauchansatz. Wenn er lächelte, sah er aus, als presse er sein Gesicht gegen eine Scheibe.
Die Gästezimmer befanden sich im ersten Stock. An den Wänden hingen ausgeblichene Familienbilder in Goldrahmen, lächelnde Kinder, darunter der Name eines Zeichners und das Jahr, in dem die Bilder entstanden waren: 1942. Über dem Bett hatte Percy einen Stich angebracht, der eine schlafende Nackte darstellte; mit dem linken Finger drehte sie eine Locke ihres schwarzen Haars auf, die zurückgeschlagene Decke entblößte die Brust. Unter dem Stich stand in schwungvollen Buchstaben »La Nuit« und »P van der Lynn«.
Das Haus war alt und in den Zimmern, die zum Meer hinausgingen, auch in der Mittagshitze kühl. Früher hatte hier ein Fabrikant aus der Stadt gelebt, der Marmelade produzierte, aber dann hatten sie die Fabrik dichtmachen müssen, und Percy hatte die Villa zu einem günstigen Preis bekommen. Selten fuhr jemand die sandige Piste bis zum Grundstück hoch, dessen Grenzen im Sand
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