Faith (German Edition)
wahrnehmen konnte. Aber er wollte mehr, er wollte sie vernichten.
(Wenn ich sie doch schon im Leib unserer Mutter hätte töten können.) Sein schönes Gesicht wurde rot wie der Zorn in seinem Inneren.
Er wusste wohl, dass seine Mutter seine Zwillingsschwester mehr liebte als ihn. Sie war zwar, nachdem er die Festung seiner Ahnen in Schutt und Asche gelegt hatte, mit ihm gegangen. Aber nicht, weil sie ihn liebte, sondern aus Pflichtgefühl, weil sie glaubte, dass er auf ihre Hilfe mehr angewiesen war als Annabelle.
Sie wollte ihn vor sich selbst schützen und ihn gleichzeitig bewachen. Er ließ sich darauf ein, denn er wusste, dass er sich auf niemanden so sehr verlassen konnte wie auf Maia.
Annabelle rief nach Rafael. „Sammle die Reiter“, blaffte sie ihn an. Die Gedanken ihres Bruders waren zwar einerseits erheiternd, hatten aber auch etwas Bedrohliches. Dem wollte sie sich nicht länger aussetzen. Abrupt wandte sie sich ab und ließ Leathan mit seinen teuflischen Gedanken auf der anderen Seite der Schlucht allein.
Erschrocken riss Rafael seinen Schimmel herum und preschte davon, um ihrem Befehl zu folgen.
„Sie ist“, dachte er, „schön und begehrenswert, aber ihre Launen sind gelegentlich unerträglich.“
Annabelle lächelte amüsiert, als die diesen abschließenden Gedanken Rafaels las. In ihm konnte sie lesen wie in einem offenen Buch.
Nicht alle waren so durchschaubar wie er.
Flüchtig dachte sie an das Mädchen, Magalies Tochter. Faith war stark. In ihre Gedanken einzudringen war ihr noch nie gelungen.
Sie setzte sich an die Spitze ihrer Horde. Wie der Wind brausten sie über das Land, ein schneeweißes Geisterheer in rabenschwarzer Nacht.
Annabelle duldete keinen Aufschub, keine Rast. Weg von diesem hässlichen, zerstörten Landstrich, wo immer noch Schlammlawinen unvermutet von den Hängen stürzten, die ihre kostbaren, schönen Pferde gefährden konnten.
Im Mondlicht näherten sie sich ihrem Land, das in seinem blassen Schein wie verzaubert vor ihr lag. Bläulich schimmernd erhoben sich die Berge gegen den dunklen Himmel. Drohend ragten Felsen aus fast schwarzen Tälern. Vorbei an rauschenden Wasserfällen, die weißen Schaum spuckten, ging diese wilde Jagd.
Die nächtlichen Geräusche ließen auf das heimliche Leben in den Wäldern schließen, wo blutrünstige Lemuren jagten, selbst gejagt von den wilden Trollen, die Lemuren noch lebend fraßen. Der Schrei eines träumenden Vogels drang an die Ohren der Vorbeireitenden, vielleicht war es aber auch ein Todesschrei. Der schräge Gesang der Baumfrösche, die in den frühen Morgenstunden ihren unerträglichen Lärm wieder aufnahmen, hatte bereits begonnen.
Leathan auf dem Weg zur Burg
Leathan richtete seine Gedanken auf das, was jetzt vor ihm lag. Faiths Anwesenheit auf seiner Festung würde seine Träume erfüllen.
Magalie würde kommen, da war er ganz sicher. Mit ihr an seiner Seite konnte er alles erreichen, was er sich je gewünscht hatte.
Er würde seine Schwester demütigen und zerstören, seine Macht ausdehnen, Alleinherrscher über die Schattenwelt und den lichten Teil der Anderswelt werden.
Seine bösartigen Gedanken trugen ihn.
Er bemerkte nicht die Mangrovenwälder, durch die er ritt, in denen ausschließlich giftige Schlangen lebten, nicht die todbringenden Pflanzen. Leathans Magie schützte ihn, machte ihn aber auch unvorsichtig. Es gab durchaus Wesen, vor denen auch er sich fürchten musste. Wesen, die einen entsetzlichen Fäulnisgestank ausströmten und deren leichenblasse Haut im Dunkeln leuchtete. Wesen, denen auch die Feen und Elfen möglichst aus dem Weg gingen.
In den Dunst des frühen Morgens gehüllt, waren die Wege kaum sichtbar. Die schweigenden schwarzen Spießgesellen Leathans atmeten auf, als sie endlich die feuchten Wälder hinter sich lassen konnten und den Fuß des Berges erreicht hatten, der zur Burg hinaufführte.
Der Fechtmeister
Als Richard, völlig erschöpft, hinter seinem Vater in die Burg stolperte, kam ihm der schwarz-weiß geflieste Fußboden entgegen. Hätte sein alter Fechtlehrer ihn nicht aufgefangen, wäre er zu Boden gegangen.
„Bring ihn in seine Räume“, herrschte Leathan den Elf an, der mit Richard auf den Armen hinter ihm stand.
Der groß gewachsene mächtige Mann hielt Leathans Blick stand. Richard sah in seinen kräftigen Armen aus wie ein Kind.
Leathan sah verächtlich auf seinen Sohn. Schwäche konnte er nicht ertragen, weder bei sich noch bei anderen.
Und am
Weitere Kostenlose Bücher