Faith (German Edition)
herauf.
Rot gefärbte, spitze Zähne standen so weit vor, dass die Oberlippe darauf lag. Es verbeugte sich neckisch und streckte eine grau bepelzte Pfote nach ihr aus. Entsetzt trat Lisa einen Schritt zurück.
Der Himmel war jetzt wolkenverhangen.
Die Farben waren verschwunden, auf Lisas Lippen lag nur noch der üble sandige Geschmack der Angst.
Der dürre graue Bursche ließ unerwartet seine pelzige Hand fallen, um sie gleich darauf hochzureißen und mit ausgebreiteten Armen in einen wahnsinnigen, wirbelnden Tanz zu verfallen. Mit ihm rotierte eine ganze Horde fahler Gestalten, die urplötzlich aufgetaucht waren. Alle in weiten, grauen, mit silbernen Kordeln geschnürten Umhängen. Sie sahen aus wie übergroße Fledermäuse. Dieser Eindruck wurde durch das vorstehende Gebiss mit den spitzen Zähnen noch verstärkt.
Die Musik schwoll an, fiel auf Lisa herab, wie ein Wasserfall. Umhüllte sie.
Lisas Beine gehorchten ihr nicht mehr, wie von selbst drehte auch sie sich in diesem aberwitzigen Ballett.
Sie drehte sich schneller und schneller, die Umgebung schien auf sie zuzustürzen. In einer letzten hysterischen Drehung verlor Lisa das Bewusstsein.
Annabelles Welt
In der Ferne schimmerten silberne Kuppeln scheinbar schwerelos vor einem dunkelblauen, sternenübersäten Himmel. Hohe Türme, deren Mauern mit bronzegrünen und silbernen Vögeln geschmückt waren, schraubten sich in die Nacht.
Faith blieb unsicher stehen. Aus Hunderten von niedrigen Hügeln stieg weißer Dampf in die Höhe. Die Schwaden waberten, wie Nebel am frühen Morgen auf den Wiesen, über der Ebene. Sie konnte kaum erkennen, wohin sie trat.
Ganz langsam nur hob sich dieser Dunst. Die o-beinige grüne Kompanie hinter ihnen brach in schauriges Gelächter aus. Die militärische Ordnung löste sich auf und machte einem ungeordneten Drängeln Platz, sodass Faith und ihren Freunden nichts übrigblieb, als halbblind durch den sich hebenden Dunst vorwärts zu stolpern.
Sie konnten kaum noch ihre Füße sehen. Alles war eingehüllt in diesen undurchsichtigen, weißen Dunst. Der Lärm um sie herum war ohrenbetäubend, das metallene Klirren der Schilde und das Geschrei der Kobolde unerträglich.
Jamal und Adam hielten sich dicht bei Faith, um sie vor den aufdringlichen Kerlen zu schützen.
Es war nicht einfach, über das auf der Erde liegende Geröll zu gehen ohne zu stürzen.
Doch langsam klärte sich die Luft. Hellgraue Schwaden stiegen in den langsam heller werdenden Morgenhimmel.
Faith und ihre Gefährten hoben nur noch automatisch die Füße. Sie drifteten ab in eine Art Bewusstlosigkeit und schlurften willenlos auf das Schloss vor ihnen zu, das sich immer deutlicher vor dem jetzt rosafarbenen Horizont abhob.
Sie bemerkten gar nicht, dass der Lärm längst verstummt war und sie sich alleine in dieser weiten, kargen Landschaft befanden.
An niedrigem, moosigem Gestrüpp wuchsen fast schwarze Beeren, glänzend feucht vom Tau schimmerten sie im milchigen Morgen.
Zwischen den Büschen und den Steinen breiteten sich glitzernde Wasserlachen aus, aus denen immer noch leichter, durchsichtiger Dunst aufstieg.
Als Jamal die Augen endlich vom Boden hob, sah er vor sich einen großen grauen Wolf, der halb geduckt in einem der Tümpel stand und sie beobachtete.
Jamal packte Faith am Arm und hielt sie fest. Die beiden blieben unbeweglich stehen. Adam stapfte, halb im Schlaf, ohne etwas zu bemerken, direkt auf den Wolf zu.
Jamal zog aus dem Köcher auf seinem Rücken einen Pfeil und versuchte, den Bogen zu spannen.
Das Tier sah ihm geduldig, mit fast neugierigem Gesichtsausdruck zu.
„Ich kenne diesen Wolf, lass ihn, er wird uns nicht angreifen.“
Faith flüsterte, als ob sie befürchtete, dass jemand sie in dieser Einsamkeit belauschen könnte.
Jamal ließ den Bogen langsam sinken.
Der Wolf setzte sich bedächtig in Bewegung, wich Adam aus, der immer noch mit halb geschlossenen Augen auf ihn zutaumelte, und näherte sich langsam Faith.
Jamal hob wachsam den Bogen, rührte sich aber sonst nicht.
Vor Faith legte sich das Tier nieder, ließ die Schnauze mit der langen Narbe auf die Vorderpfoten sinken und sah sie aus gelben Augen an.
Leuchtender Bernstein.
Sie ging in die Hocke und streckte die Hand nach ihm aus.
Der Wolf blinzelte einmal, er schien auf etwas zu warten.
Faith dachte an ihren Waldlauf zurück.
Damals hatte sie geglaubt, dass das Tier sie bedrohte, als es sie verfolgte. Aber war das wirklich so? Hatte sie sich das vielleicht
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