Faith (German Edition)
Schulter legte, war ihre Angst nicht kleiner geworden.
Sie lauschte. Außer dem Knacken der Leitungsrohre und dem leisen Quietschen der Haustür war kein Laut zu hören. Oh Gott, die Haustür, sie stand halb offen. Lisa lehnte sich mit klopfendem Herzen von innen dagegen und schloss zweimal ab.
Hatte sie nicht doch noch ein Geräusch gehört?
Lisa sah sich um. Sie sah in die Küche, den Wohnraum und das Kaminzimmer.
Nichts.
Wieder in der Halle, horchte sie erneut.
Da war noch das kleine Gästeklo mit dem niedlichen, geschwungenen und mit Streublümchen bemalten Handwaschbecken. Hinter dem Klo gab es eine altmodische Kette mit einem Porzellangriff am unteren Ende, an der man ziehen musste, um aus dem hoch unter der Decke angebrachten Kasten Wasser fließen zu lassen.
Langsam öffnete Lisa die Tür und erstarrte.
Vor dem goldgerahmten Spiegel über dem Waschbecken surrte ein hellblauer Falter eilig auf und ab. Das kleine Tier schien höchst aufgeregt, blieb über der Seifenschale in der Luft stehen, um kurz vor dem Absturz wieder nach oben zu flattern.
Lisa trat vorsichtig näher, aber der Schmetterling blieb, wo er war, dicht über der Seifenschale.
Und dann sah sie es. Neben der Schale auf dem Waschtischrand, lag ... Faiths Ring.
Der Ring, den sie nach dem Wunsch ihrer Mutter niemals ablegen durfte. Der Mondsteinring, der sie beschützen sollte.
Ohne den Ring war Faith verloren, ohne ihn besaß sie keine Magie und war dem Dunkelalb schutzlos ausgeliefert, wenn er sie fand.
Faith selbst hatte ihr anvertraut, was es mit dem Ring auf sich hatte.
Lisa nahm den Ring so vorsichtig in die Hand, als befürchtete sie, er könne explodieren.
Wie sollte sie den Weg zu Faith finden? Sie musste den Ring der Freundin bringen, aber wie?
Wenn sie Glück hatte, waren Faith, Adam und Jamal noch nicht in der Anderswelt. Sie hatten das Tor möglicherweise noch nicht durchschritten.
Lisa spurtete los, zog im Laufen die Winterklamotten über und stieg, auf einem Bein hüpfend, in die Stiefel. Dann schloss sie die Haustür wieder auf. Wolle hatte sie zuvor in der warmen Küche abgesetzt, Wasser in seinen Napf gefüllt und eine Nachricht geschrieben, die sie auf den Küchentisch legte. Der Akku ihres Handys war leer. Als sie die Haustür öffnete, witschte ein blauer Blitz an ihr vorbei.
Sie hatte den Schmetterling ganz vergessen, der jetzt vor ihrer Nase tanzte. Wenn sie langsamer ging, wurde auch er langsamer, ging sie schneller, nahm seine Geschwindigkeit zu.
Sie hatte das Gefühl, dass er ihr etwas sagen wollte.
Ob er ihr den Weg in die andere Welt zeigen konnte?
Was hatte Faith heute zu Adam gesagt? „Suche die blaue Wolke.“ Die blaue Wolke bestand, nach dem was Faith erzählt hatte, aus blauen Schmetterlingen. Magalies Boten.
Lisa beschloss, dem kleinen Kerlchen zu folgen.
Er tanzte vor ihr her, bis sie wieder bei der uralten Eiche stand. Der Spalt im Baum verschluckte den kleinen Schmetterling.
Misstrauisch betrachtete Lisa den Baumriesen. Er bestand aus zwei gewaltigen zusammengewachsenen Stämmen, an deren Fuß sich ein etwa mannshoher Spalt wie ein Tor öffnete.
Sie sah sich um. Dass die Freunde durch dieses Tor gegangen waren, stand außer Frage.
Lisa konnte es deutlich an den Spuren der drei sehen.
Sie musste Faith den Mondstein bringen, also würde auch sie diesen Weg gehen müssen.
Einen flüchtigen Moment lang sah sie Bens Lächeln vor sich und hoffte, dass sie ihn wiedersehen würde.
Dann betrat sie eine andere Welt.
Die Luft war so dünn, dass ihr das Atmen schwerfiel. Die Farben, die sie umgaben, konnte sie nicht nur sehen, sondern auch hören. Es war, als ob die lockende, zarte Melodie, die erklang, die Grüntöne von Aquamarin über Smaragd bis Türkis zum Tanzen brachten. Die Klangfarben verzauberten Lisa, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Die Intensität, mit der Musik und Töne auf sie einstürzten, machte sie wehrlos.
War dies Faiths Welt, die Welt, in der sie geboren worden war, die Welt, in der Magalie lebte?
Wie wunderschön.
Lisa lief den Tönen hinterher, schmeckte die Süße der Musik.
Ihre Zunge versuchte, diesen wunderbaren Geschmack von den Lippen zu lecken. Sie hielt eine Sekunde die Augen geschlossen, um sich ganz diesem unirdischen Erlebnis hinzugeben.
Erschrocken riss sie die Augen wieder auf, als sie den Aufprall spürte.
Vor ihr stand grinsend ein Wesen, halb Mensch halb … Ja, was eigentlich?
Die grauen Augen blickten stechend und spöttisch von unten
Weitere Kostenlose Bücher