Faith (German Edition)
zugestoßen?
Aus dem Kaminzimmer kamen leise Geräusche. Man konnte sie als dezentes Schnarchen deuten.
Ben lachte erleichtert auf.
Vor dem Kamin, in dem ein dürftiges Feuer brannte, saß Madame Agnes in Roberts Sessel, den kleinen Hund auf dem Schoß, und schlief.
Wolle streckte den Hals und ließ ein warnendes Knurren hören, als müsse er ihren Schlaf beschützen.
Sein Knurren hörte sich jedoch eher an wie das Schnurren eines Kätzchens, er war eben doch noch ein Baby.
Ein rührendes Bild.
Auf dem Boden lag eine Fotografie. Es war eine Aufnahme der ganzen Klasse vor Beginn der Weihnachtsferien.
Außer Paul, der das Foto gemacht hatte, waren sie alle darauf zu sehen.
Ganz hinten in der Mitte stand Richard und betrachtete beinahe sehnsüchtig das Mädchen an seiner Seite.
Dieses Mädchen war Faith.
Christian hob das Foto auf und legte es auf den Spieltisch neben das Schachbrett, dessen Figuren vergebens auf Spieler warteten.
Madame Agnes schrak auf.
Sie entdeckte das Bild auf dem Tischchen neben sich und nahm es in die Hand.
„Wer ist der Junge neben Faith?“
Sie hielt Ben die Aufnahme entgegen.
„Das ist Richard, ein neuer Schüler. Er ist erst seit einigen Wochen auf dem Internat.“
„Was ist?“
Christian nahm das Foto in die Hand, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken.
„Er ...“ Sie stockte. „Er sieht meiner Tochter so ähnlich, die Haltung, das ausgeprägte Kinn, der Mund. Nur die Augen sind anders. Und mein Enkel heißt Richard.“
Sie schluckte.
Konnte es sein, dass sie ihren Enkel gefunden hatte, um ihn gleich darauf wieder zu verlieren?
Ben hatte gehört, dass es in emotionalen Krisen gut sei, Tee anzubieten.
Zumindest galt das in England, ob das auch in Frankreich half, wusste er nicht, aber er konnte es versuchen.
Er ging in die Küche und setzte Wasser auf.
Christian und er hatten in den letzten Stunden das ganze Gelände abgesucht. Kein Lebenszeichen von Lisa. Außer Spuren am alten Baum hatten sie nichts gefunden, das ihnen hätte weiterhelfen können.
Was sollten sie bloß tun?
So langsam mussten sie ins Internat zurückfahren um Madame Agnes nach Hause zu bringen und die Direktorin zu informieren. Ben graute vor der Vorstellung, was passiert sein könnte. Fünf Mitschüler und Robert waren verschwunden, das konnten er und Christian nicht mehr verheimlichen. Er brachte den Tee ins Kaminzimmer und hatte den Eindruck, dass seine beruhigende Wirkung auch bei Französinnen eintrat.
Christian hatte Wolle hinausgelassen, damit dieser sein Geschäft erledigen konnte.
„Wir müssen los, der letzte Bus fährt bald. Ich schlage vor, wir schließen hier alles ab und nehmen den Welpen mit. Der kann hier nicht alleine bleiben.“
Christian tat furchtloser, als ihm zumute war. Der Gedanke an seinen Freund ließ ihn nicht los. Auch er machte sich Gedanken darüber, wer ihnen helfen könnte, die Freunde wiederzufinden.
Er setzte Wolle ab, der sofort fröhlich wedelnd zu Madame Agnes sprang.
„Ich nehme ihn mit zu mir, ich glaube nicht, dass ihr ihn im Internat behalten dürft.“
Nach einer sehr schweigsamen Busfahrt brachten die beiden Jungen die alte Dame nach Hause. Es war spät geworden und ihre Abwesenheit war keineswegs unbemerkt geblieben.
„Was genau denkt ihr euch bei solch einer Aktion?“
Sie waren sofort ins Zimmer der Direktorin beordert worden. Der Hausmeister, Herr Zorn, hatte sie am Eingang abgefangen und nun standen sie einer ziemlich wütenden Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky gegenüber.
„Könnt ihr mir das bitte sagen?“
„Wir können Ihnen das erklären.“
Und die beiden redeten. Sie sprachen von Roberts Verschwinden. Davon, was Richard und Patricia zugestoßen war. Von den Erzählungen Patricias, die als Einzige bestätigen konnte, dass es so etwas wie die Anderswelt überhaupt gab. Auch Faiths Enthüllungen über ihre eigene Herkunft teilten Ben und Christian Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky mit.
Die Direktorin erwog, Schwester Dagmar zu dieser Unterredung hinzuziehen. Sie befahl den Jungen zu warten und begab sich zu Schwester Dagmars Zimmer.
Sie bat sie, Patricia zu suchen und mit dem Mädchen zu ihr zu kommen. Die Direktorin sprach mit Patricia allein im Zimmer der Schwester. Sie wollte ihren Bericht unbeeinflusst von den anderen hören.
Dass Patricia in allen Punkten die Berichte der Jungs bestätigte, verunsicherte die Direktorin. Nachdem sie Patricia entlassen hatte, wandte sie sich fragend an Schwester Dagmar.
„Ich denke,
Weitere Kostenlose Bücher