Faktor, Jan
ist
das? Wie kommt ihr miteinander aus?
In seinen
Reden, Reportagen und auch in seinem Manifest »2000 Worte« sprach er die Dinge
ähnlich direkt an, und er ging in seinen späteren Texten - den Feuilletons und
in seinem Traumbuch - mit sich selbst und anderen Menschen nicht viel anders
um. Der Schriftsteller Jifi Grusa benahm sich schon damals ausgesprochen
diplomatisch. Als ich einmal eine Platte mit alter spanischer Musik - für
Vihuela und eine Tenorstimme - aufgelegt hatte, klopfte er bei mir an und
interessierte sich nicht für meine Wohnsituation und die zwei weit voneinander
stehenden Betten, sondern nur für meine Schallplatte.
-
Sechzehntes Jahrhundert, unglaublich.
In Prag zu
einer eigenen Wohnung zu kommen war bei der herrschenden Wohnungsnot fast
unmöglich. Anders unmöglich erschien mir die Vorstellung, Dana nur aus
praktischen Gründen wieder zu begehren und mich in ihrem Tierheim
einzuquartieren. Ich wollte nicht einmal, daß sie mich in meiner aktuellen
Abbauphase zu sehen bekam. Und inweichem Pflegezustand sie sich gerade befand,
wußte ich ungefähr. Der Tantenrat machte sich schon länger Sorgen um sie.
Meine
Mutter war einmal auf die Idee gekommen, mich bei einer Wohnungsgenossenschaft
anzumelden und dort auch einen Grundbetrag einzuzahlen. Dieser Mitgliedsbeitrag
war aber angesichts des herrschenden Raummangels und der florierenden
Bestechungswirtschaft lächerlich. Sogar beim einvernehmlichen Wohnungstausch
mußte derjenige, der sich vergrößern wollte, heimlich vereinbarte Unsummen an
den Tauschpartner zahlen - im voraus und in bar, versteht sich. Zu einer
Wohnung wäre ich, so wie ich geschaffen und finanziell ausgestattet war, nie
gekommen. Die Vegetiergemeinschaft der drei alten Männer, in der ich vor zwei
Jahren untergekommen war, gab es sicher noch, das war für mich aber keine
Alternative. Auch wenn der nächste Mitbewohner mit Rattengift beseitigt worden
sein sollte.
Ich war
voller ungeklärter Ängste, mein Herz klopfte grundlos, schwer und ausdauernd.
Ich hatte niemanden, dem ich das, was in mir los war, hätte beichten können.
Aber ich wußte sowieso nicht, worüber ich hätte reden sollen. Über solche Dinge
wie grundloses Herzklopfen sprach man in Prag nicht. Mein ängstliches Herz klopfte
besonders stark, wenn ich auf der Straße eine Frau sah, die meiner Mutter
ähnelte. Dummerweise sah ich meine Mutter phasenweise recht oft. Die geringsten
Merkmale, die mich an sie erinnerten, reichten mir schon - etwas an der
Kleidung, an der Kopfhaltung, am Gang. Irgendwann gestand ich mir, daß ich sie
haßte, vergaß diesen explosionsartig hochgeschossenen Gedanken aber sofort
wieder. Er war zu absurd. Mit meinem Leben versöhnten mich kurzfristig nur
meine langen Fahrradfahrten. Wenn Dana zu uns zu Besuch kommen sollte,
versuchte ich irgendwo auswärts zu übernachten.Draußen in der Landschaft
erwärmten mich immer wieder diffuse Fluchtwünsche, besonders wenn ich schöne,
abseits stehende Bauernhäuser sah. Gleichzeitig begriff ich, wie unselbständig
ich in Wirklichkeit war, wie unfähig, in meiner Seelenenge frei zu handeln,
praktische Entscheidungen zu treffen, mein kindliches Dasein beispielsweise mit
einem Faustschlag auf einen unserer verwackelten Eßtische zu beenden.
Inzwischen
plagten mich nicht nur meine Beine und mein Herz, sondern auch mein Magen. Ich
wurde von mehreren Ärzten untersucht, wurde in der Klinik von Professor G.
geröntgt, abgehorcht und abgeklopft - und man stellte fest, daß ich zu viel
Luft im Bauch (METEORISMUS!) hatte. Langsam, aber sicher war ich - dies war die
Meinung unseres privaten Ärztekollegiums - auf dem besten Weg, Magen- oder
Zwölffingerdarmgeschwüre zu entwickeln. In Prag waren Verdauungstraktgeschwüre
damals sowieso eine Modekrankheit, gegen die bestimmt auch Danas beste Kräuter
nicht geholfen hätten. Man mußte auf der Straße nur einen bestimmten
Gesichtsausdruck aufsetzen, um eine Geschwür-Diagnose von einem x-beliebigen
Trottel verpaßt zu bekommen. Dieser wußte auch gleich, was einem fehlte oder
wovon man zuviel hatte - ZUVIEL SÄURE beispielsweise ... Überall hörte man die
gleichen Gespräche.
- Du auch?
- Ja, am
Zwölffingerdarm. Und deine Geschwüre?
- Alles
weg, habe inzwischen nur einen halben Magen. Mein Bruder hat so gut wie gar
keinen.
Bald war
ich soweit, daß man mich bei unserem, mit unserer Familie befreundeten
Nervenspezialisten in der psychiatrischen Klinik in Bohnice aufnehmen wollte -
zu einer Art
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