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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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KÄLTE IST VIEL SCHLIMMER ALS GAS, TÖTET LANGSAMER! schrie Tante Györgyi
erhitzt. Ich gehe jetzt.
    - Jeder
denkt sich sein Leben so oder anders zurecht, sagte Lizzy.
    - Was soll
das wieder bedeuten? fragte Györgyi.
    - Ich habe
mich an diesen Spruch neulich erinnert, weiß aber nicht, von wem er stammt. Mit
dir oder deinem Kälteproblem hat es aber nichts zu tun, entschuldige, Györgyi.
    - Es müßte
heißen: Jeder FÜHLT sich sein Leben zurecht, sagte der ungeduldig paffende
Internist. Habe ich recht? Natürlich habe ich recht.
    Besondere
Schwierigkeiten gab es, wenn bei uns Besuch aus dem Ausland aufkreuzte - zum
Beispiel unsere reichen Verwandten aus Long Island, New York (die »Besitzer«
der Totenmaske von Karl Kraus). Ich mochte diese beiden ehemaligen Ostrauer
überhaupt nicht. Die amerikanische Tante lachte breitmäulig und so muskulös,
daß ich als Kind oft Angst hatte, sie könnte jederzeit auch zubeißen. Über die
Häßlichkeit unseres Zuhauses mußten die beiden entsetzt gewesen sein, ließen
sich aber kaum etwas anmerken.Wenn sie in Prag waren, wohnten sie sowieso im
Hotel. Zu einem schweren Eklat kam es, als man der Ami-Tante wegen ihrer
Hüftschmerzen ein Schmerzzäpfchen empfahl - und ihr eines aushändigte. Man
ahnte nicht, wie fremd für sie im fernen Amerika Arschzäpfchen geworden waren,
wunderte sich nur, warum sie plötzlich ein Glas Wasser verlangte. Dann ging
alles sehr schnell, und das fette Ding war ruck, zuck geschluckt. Danach
herrschte eine Weile die totale Stille - bis jemand meinte, die Wirkstoffe
müßten auch auf diese Weise in den Körper gelangen. Die hüftleidende Frau bekam
von dem Zäpfchen leider eine Gallenkolik und schwor, nie wieder nach Europa zu
kommen. Dann ging sie zu guter Letzt auf die falsche Toilette und entdeckte
dort Tante Erna, die sich vor ihr an diesem Tag verstecken wollte. Zum Schluß
wurde noch unser Land beschimpft, das nicht in der Lage war, immer ausreichende
Mengen an Toilettenpapier zu produzieren.
    - Man
braucht doch nur den Durchschnittsverbrauch mit der Bevölkerungszahl zu
multiplizieren - und so viel Toilettenpapier herstellen wie eben nötig. Wofür
habt ihr denn eure Planwirtschaft?
    Manchmal
hatte ich fast den Eindruck, in Ostrau vor dem Krieg zu leben. Daher paßten
seit meinem Wiedereintritt in die Prager Troposphäre einige Menschen nicht in
mein antiquiertes Umfeld, rückten zwischenzeitlich von mir weit weg. Danas
Leben fand ich mittlerweile auch mehr als wunderlich. Mit meiner Mutter war sie
allerdings längst versöhnt.
    Als ich
Dana doch einmal besuchte, kam mir schleierhaft vor, aus welchen Quellen ihr
Chaos immer noch seine Lebensfähigkeit schöpfte und wieso die lahmende
Gemeinschaft noch nicht untergegangen war. Dana sah eingefallen aus, war
gealtert. Von meiner Mutter wußte ich, daß Dana seit längerem über Bauch- und
Rückenschmerzen klagte,trotzdem aber nicht zum Arzt gegangen war. Das Haus
befand sich in einem fürchterlichen Zustand. Mäuse bewegten sich inzwischen in
Scharen frei herum. Hinter einem Küchenschrank und einem Regal befanden sich
offenbar einige Nester. Durch die Fugen der dazugehörigen Rückwände sah ich da
und dort einen dünnen Mäuschenschwanz hängen oder sogar seitlich herausragen.
Da ich wenigstens diese Plage - in Danas Interesse - etwas reduzieren wollte,
erklärte ich dem Mäusevolk heimlich den Krieg. Ich rechnete mir gute
Gewinnchancen aus. Die Nager sind zwar flink, haben auf ihren Schwänzen aber
keine Augen. Und nachdem Dana mit einem mit ihr befreundeten Landvermesser zu
den Kubricks gegangen war, um ihnen irgendwelche geometrisch relevanten
Koordinaten zu verpassen (oder sie zu überprüfen), nahm ich eine schmale
Flachzange und zog die Mäuse an ihren langen Schwänzen nach und nach ins Freie.
Ich verfütterte sie frisch an die Katzen und die äußerlich nicht alternden Störche.
Wenn ich mit der Maus dem weniger scheuen Alfons näher kam, warf er seinen
Schnabelkopf weit nach hinten, baute sich vor mir schutzlos wie vor seinem
Partner auf - und klapperte mir im voraus seinen Dank zu. Die Restmäuse, die
ich nicht erwischen konnte, weil sie sich hinter zu schmalen Fugen aufhielten
und ihre Schwänze nicht freigaben, erstach ich mit einem Brotmesser. Sie fielen
naturgemäß nach unten, wo ich sie unter dem Regal einsammeln konnte. Nach der
leicht blutigen Aktion bekam ich fürchterliche Angst um alles, was im Haus noch
lebte.
    - Wegen
meiner vielen Tiere darf ich nicht ernsthaft krank

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