Faktor, Jan
Dialoge. Infolgedessen wirkten die auf dem Bildschirm agierenden
Schauspieler wie Kinder unter Kokain, wie Manisch-Depressive, die gerade ihre
positive Erregungsphase auslebten - oder wie Ferdydurkisten, die an einer
unpassenden Stelle der Gesellschaftshierarchie in eine falsche
Erziehungsanstalt gesteckt worden waren. Ich mußte auch an Marquis de Sade und
Peter Weiss' Stück denken. Vielleicht verdrehte und parodierte hier ein
neuzeitlicher Sadist, umgeben von der Nachwuchsgarde eines Irrenhauses, irgendwelche
Vorlagen, deren ursprüngliche Intention und ideologische Stoßvektorisierung mir
nicht zugänglich war.
Zur
Beruhigung versuchte ich wieder und wieder, für den allgemeinen Sprechwahn und
Sprachverfall Worte zu finden, suchte nach einem Satz, mit dem man diese
partielle Abkoppelung der Sprache vom Seelenleben der Gesellschaft beschreiben
könnte. »Was diese Leute bei ihrer pervertierten Beschallung mit uns treiben«,
notierte ich mir eines Tages, »ist AUF EINLULLUNG UND ÜBEREINSTIMMUNGZIELENDER
PARASEMANTISCHER TRANSPORT VON NUR MUSIKALISCH ZU ERFASSENDEN SIGNALEN - EIN
TRANSFER, DER UNTERSCHWELLIG VONSTATTEN GEHT UND AUF DIE FINALE ÜBERSTÜLPUNG
DER SCHEINBAR TRANSPARENT FEILGEBOTENEN INHALTE ANGELEGT IST.« Sicher war das
aber nicht die letztgültige Definition des damaligen Verbrechens an meiner
Sprache. Allerdings war auch ein von mir konsultierter Phonetiker nicht in der
Lage, diese Beobachtungen der klanglichen Vorgänge ohne weiteres einzuordnen,
geschweige denn sie wirklich schlüssig zu klassifizieren.
Das Volk
sah sich die nicht nur sprachlich verunstalteten Machwerke im Kino und im
Fernsehen trotz allem gern an. Und über die aktuellen Folgen der
unterschiedlichen, vor allem der originaltschechischen Fernsehserien wurde mit
vollem Ernst fleißig diskutiert - wie über das wahre Leben selbst. Und was für
niedliche und reizende Kinderfilme im Lande immer noch produziert würden!
schwärmte man bei den auswertenden Gesprächen während der Arbeitszeit. Sie
würden sogar erfolgreich exportiert - sieh mal einer an! Zu meinem Entsetzen
mutierten die Leute langsam zu Notprogramm-Patrioten und versuchten, wenigstens
auf etwas - und sei es aufgepäppelter Schrott - stolz zu sein. Die
gehaltreduzierten Unterhaltungsproduktionen waren allerdings äußerst geschickt
gestrickt - tatsächlich zu gleichen Maßen für die zu erziehenden Kleinen wie
für die klein zu haltenden Großen gedacht.
Auch bei
der Benennung der Prager U-Bahn-Stationen beging unsere Obrigkeit ein schweres
Verbrechen. Gegen alle üblichen sprachlichen Regeln wurden die einzelnen
Stationen damals nicht schlicht nach dem entsprechenden Stadtteil, der
anliegenden Straße oder dem zugehörigen Platz benannt, sondern adjektivistisch.
Statt »Kleinstadt« sollte die Station an der Moldau plötzlich »Die
Kleinstädter«, die am anderen Ufer statt »Altstadt« »Die Altstädter« heißen.
Unsere Station bekam natürlich den Namen »Die Hradschiner« verpaßt. Dabei
konnte der »Prag Hauptbahnhof« weiterhin den schlichten alten Namen behalten
und wurde nicht in »Der Prager« umbenannt. Die U-Bahn-Station »Museum« durfte
wahrscheinlich nur deswegen »Museum« heißen, weil man sie schwerlich »Die
Museale« nennen konnte. Das hinter dieser schiefen Benennungspraxis stehende
psychologische Motiv erklärte ich mir bald: Alles hing wieder mit dem angestrebten
NETTEN TON zusammen, mit dem man in jedem U-Bahn-Zug umsabbert wurde. Die
gütige Staats- und Parteiführung schenkte uns Pragern die ersehnte Metro mit
allen ihren schönen Bahnhöfen, und sie wollte uns nach der feierlichen
Eröffnung unbedingt folgendes singen hören: »Freuen wir uns alle miteinand!
Seien wir dankbar! Tanzen wir doch vorsichtig eine Bahnsteigpolonäse, statt nur
verstockt herumzustehen. Es ist unser aller Metro - und wir wollen die nächste
angesagte Station NICHT mit der eigentlichen Altstadt verwechseln, es ist doch
die prächtige ... es ist UNSERE neuerbaute ALTSTÄDTER, und die nächste wird
unser aller KLEINSTÄDTER Station sein, und klatschen wir gemeinsam in die
Hände: Die übernächste, an dem beispielsweise auch unser lieber Georg aussteigen
wird, ist unsere besonders schön gestaltete HRADSCHINER.«
Leider
wurde ich - dauergequält, wie ich war - nach und nach zu einem Radikalinski,
redete wie ein Radikalinski und wurde als ein solcher gern beschämt.
- Na, na,
nicht so radikal, Georg, warum so radikal, junger Mann ...
Das
besonders Kränkende daran
Weitere Kostenlose Bücher