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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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zu erwarten gewesen. Er trank inzwischen nur noch
und gehörte in seinem Neubaugebiet zum festen Bestandteil einer leicht
eingebildeten Alkoholikerclique - Säufer mit einem IQ unter 120 hätten in
seinem Kreis keine Chance. Nachdem er in der Kneipe alle drückenden Probleme
des tschechischen Volkes und der übrigen Welt gelöst hatte, grüßte er torkelnd
und fröhlich oder torkelnd und wütend jeden, den er auf der Straße mit seinem
Tunnelblick erfaßt hatte, beschimpfte von weitem seine Nachbarn, die um ihn
möglichst einen Bogen machten, winkte gern auch meinem sich für ihn schämenden
Halbbruder zu - also seinem noch schulpflichtigen Sohn -, oder er täuschte
einen Jiu-Jitsu-Angriff vor, wenn die Freunde seines Sohnes sich über ihn
lustig machten. Wenn er seine Frau und Mitbewohnerin traf, zog er sie, wenn sie
allein war, gern wegen ihres Liebhabers auf, der ein einfacher Taxifahrer
war.Als man meinem Vater seine verstopften Halsschlagadern reinigen wollte,
mußte er ins Krankenhaus. Er besoff sich heimlich auch dort - sogar noch in der
Nacht vor der Operation. Mein Vater, der gerade zweiundfünfzig Jahre alt
geworden war, verabschiedete sich dann beim ersten Narkoseschub.
    In seinem
letzten Lebensjahr unternahmen mein Vater und ich - wer hätte das früher
gedacht - noch einige ausgelassene Sauftouren in der Innenstadt. Er und ich,
wie zwei alte Bierkumpane, es war wie in einem bösen Märchen. An diesen Abenden
machte er mich überraschenderweise zu seinem Vertrauten. Im Grunde erkannte er
mich damit endlich an und behandelte mich - meistens jedenfalls - wie einen
ebenbürtigen Erwachsenen. Einiges um uns herum befand sich tatsächlich im
Umbruch, und wir waren, trotz einiger gravierender Unterschiede, doch zwei
ähnliche, von drückenden Umständen und bösartigen Schicksalsschlägen geprüfte
Männer. Mich interessierte inzwischen die Politik nicht sonderlich. Was
Kardinal Mindszenty in Wien trieb, nachdem er die amerikanische Botschaft nach
fünfzehn Jahren hatte verlassen können, ließ mich kalt. Und was aktuell in
Vietnam oder etwas später in Chile los war, war mir auch relativ egal. In
diesem Punkt unterschied ich mich nicht von meinem Vater und war mit den
meisten meiner Landsleute auf einer Linie. Überall, wo der verhaßte Sozialismus
auf der Welt bekämpft wurde, sollte er mit voller Härte auch zurückgedrängt
werden. Vaters frisch erblühter Antikommunismus war allerdings voller
Halbwissen und nur noch irrational. Manchmal stimmte ich ihm bei seinen
Haßtiraden vorsichtshalber zu und hatte danach das unkluge Gefühl, ein
ähnlicher Trottel zu sein wie er.
    Ich hatte
in dieser Zeit - wie gesagt - keine Freunde, neue zu suchen kam nicht in Frage,
und Frauen anzusprechen war für mich inzwischen vollkommen unmöglich. Meinen
Vater kannte ich nun mal, und sich mit ihm auszutauschenwar schon nach dem
ersten Bier meistens unproblematisch. Wir näherten uns tatsächlich an und
wurden kurz vor seinem Tod, wenn auch ohne wirkliche Konstanz, wieder so etwas
wie Freunde. Vater hatte immer genug Geld dabei, er zahlte und zahlte, ich
konnte auch in teuren Restaurants bestellen, was ich wollte.
    Eine
Zeitlang hatte mein Vater ein Verhältnis mit der ebenfalls alkoholkranken
Gattin des Langzeit-Geliebten meiner Mutter. Mein Vater und diese
langzeit-betrogene Frau - im Grunde die beiden früheren und jetzt überkreuz
gebildeten Paare - kannten sich natürlich noch von früher aus dem Studium. Für
kurze Zeit hatte sich um mich herum ein neu zusammengesetzter Kopulationskreis
gebildet. Etwas später brachte mein Vater eine viel jüngere Frau von seiner Arbeitsstelle
mit, und er erlaubte mir beim Saufen sogar, sie anzubaggern. Hinterher
amüsierten sich die beiden über mich. Nach Dienstschluß schliefen sie manchmal
miteinander - angeblich auf Vaters Schreibtisch. Bei der nächsten Gelegenheit
berichtete er mir stolz und ausdauernd nicht nur über seine
Noch-Funktionstüchtigkeit, sondern auch darüber, wie niedlich mich seine Braut
gefunden hatte.
    - Diese
gemeinsamen Bewegungen beim Sex! Es ist das Schönste, was es im Leben überhaupt
gibt! Aber du - mach dich vor ihr bitte nicht lächerlich, Georg!
    Er war
kurz nach dem Einmarsch der Russen wegen »politischer Unzuverlässigkeit«,
sicher aber auch wegen seines Alkoholismus entlassen worden - er konnte sich
allerdings zu Recht als ein echter Reformer und Opfer von Säuberungen fühlen.
Trotzdem wurde er auf seiner neuen Arbeitsstelle als ein ehemaliger

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