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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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leichter Tritt. Er trat ausgerechnet
gegen den Fuß, auf den sich mein Balancegefühl vorausschauend verlassen wollte
und auf den ich gerade mein Gewicht verlagerte - das heißt vorhatte zu
verlagern.
    Die
Katerstimmung nach den nächtlichen Ausflügen an der Seite meines Vaters war
furchtbar. Ich mußte früh aufstehen und in meiner Schlosserei erscheinen. Der
Zauber des Metalls war inzwischen sowieso schon stark gemindert, meine weiteren
Perspektiven waren unklar. Zum Schreiben fehlte mir die Kraft, und ich wußte,
daß in einer so bedrückten Stimmung kaum die Literatur entstehen konnte, mit
der sich die Menschheit beeindrucken und beglücken ließe. Meinen Karateverein
mußte ich irgendwann feige verlassen, nachdem ich nach einem Kampfwochenende
für mehrere Wochen untergetaucht war. Ich mußte mich einfach auskurieren und
erholen, hatte mich aber gleichzeitig nicht entschuldigt, war auch nicht zum
Arzt gegangen. Deswegen gab es für mich kein Zurück mehr. Man hätte mich dort -
wenn ich nicht schlappgemacht hätte - sicher immer wieder so zugerichtet, daß
ich es irgendwann geschafft hätte, auf den nicht genutzten Turnmatten in der
Ecke sogar meiner Seele eine schützende Knorpelschicht zu verpassen.
    Ich
trainierte trotzdem für mich weiter, vor allem die Schläge. Ich trainierte
immer so lange, wie es mir meine schmerzenden Gelenke erlaubten. Wenn sich
meine Fäusteerholt hatten, machte ich weiter - und konnte eines Tages sogar
einen Erfolg verbuchen. In meinem Zimmer schlug ich oft auf die gleiche Stelle
einer Seitenwand, es war die Wand zum Nebenhaus hin. Der Putz hielt dort gut
zusammen, weil er noch aus alten Zeiten mit einer Stofftapete bespannt war.
Diese Wand war - gegen alle Regeln der Baukunst - relativ dünn, das wußte ich
aber schon. Tante Eva hatte mir manchmal Beschwerden der Nachbarn überbracht,
die sich über die dumpfen Schläge in ihrer Küche gewundert hatten. Daß die
seitlichen Wände des Hauses so dünn waren, war einmal auch meinem Onkel bei
seiner Heizungsaktion zum Verhängnis geworden - wenn auch am anderen Ende der
Wohnung. Gebaut wurde unser Haus außerdem mit einfachem Kalkmörtel ohne Zement;
das hatte Onkel ONKEL damals schon diagnostiziert. Daß bei meinen Übungen die
von mir bevorzugte Stelle mit der Zeit etwas nachgegeben hatte, merkte ich
natürlich - aber gerade weil sie nachgab und weil sie inzwischen etwas
weichgeklopft war, boxte ich ausschließlich nur dorthin. Bis sich diese Stelle
eines Tages ruckartig vertiefte. Ein Ziegel schob sich mehrere Zentimeter in die
Wand hinein und drückte den unglücklichen Menschen im Nebenhaus den Putz von
der Wand. Ein ganzer Fladen Mörtel fiel angeblich in irgendwelche gerade
aufgetischten Suppen.
    Als ich
einmal wieder mit der Faust in die Wand schlug, schlug ich so heftig und unglücklich,
daß ich mir ein Gelenk samt Gelenkkapsel beschädigte. Als ich das Knacken
hörte, spürte ich - neben dem Schmerz - auch einen angenehmen psychischen Ruck.
Mir ging es plötzlich deutlich besser als noch einige Sekunden davor - wie
unserem russischen, sich mit seinem Jagdmesser immer wieder abstrafenden
Familienfreund Jossip. In einem hellen Moment der langsamen Rekonvaleszenz
meiner Faust ging mir einmal auf, daß ich mit meinen Schlägen wahlweise auch
Mutters Gesicht hätte zertrümmern können. Das Wissen darüber, was sie inden
Lagern durchgemacht hatte, hemmte mich dabei überhaupt nicht. Über meine
Gnadenlosigkeit wunderte ich mich natürlich, schwor mir aber, sie
lebenslänglich geheimzuhalten.
    Wegen
meiner schmerzenden Hand war ich lange krankgeschrieben und mußte meine
Handgelenke konsequent schonen. Was ich in dieser Zeit allerdings problemlos
üben konnte, waren Luftschläge. Wenn mir danach war, wenn ich unbedingt meine
Wut loswerden wollte, konnte ich in die Luft schlagen, wie ich wollte. Möglichst
mit der ultimativen Karate-Wucht, die sich bekanntlich im ganzen Körper zu
sammeln hat und letzten Endes geistiger Natur ist. Gya-ku-zuki, Oi-zuki,
Nagashi-zuki, Kizami-zuki, Ren-zuki, Dan-zuki, Morote-zuki, Age-zuki, Ura-zuki,
Kagi-zuki, Mawashi-zuki, Awase-zuki, Yama-zuki, Heikö-zuki, Hasa-mi-zuki,
Uraken-uchi, Kentsui-uchi, Haji-ate und so weiter. Seltsamerweise war das
Schattenboxen fast genauso befriedigend wie das Üben mit Holz- oder
Mörtel-Vollkontakt. Bei diesen Übungseinheiten erschien vor meinem fernöstlichen
Auge oft meine Erzeugerin, ausgerechnet sie, immer wieder. Ich übte weiter und
versuchte, ihre

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