Faktor, Jan
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Unsere
riesige, in kleinere Wohneinheiten zerhackte Wohnung - neben Trennvorhängen
gehörten auch selbstgebastelte Pappwände dazu - war ein kompliziertes Gebilde,
und die Familien, Familienteile oder ihre freischwebenden Reste waren für
Außenstehende nicht leicht zu überblicken. Das Leben in unserer Wohnung
beherrschten meine drei bis sechs Tanten beziehungsweise Großmütter. Meine
leibliche Mutter Anna gehörte zum herrschenden Teil des Clans. Obwohl ich mir
sicher bin, daß man die vielen Namen beim Lesen andauernd verwechseln wird, nenne
ich sie hier trotzdem alle - und wenn schon, dann auf einmal: Zilli, Györgyi,
Klara, Peprl, Ludmila, Erna, Grete, Sidla, Renata, Lizzy, Eva, Anna und Urtante
Bombe. Das sind zwar viel mehr als sechs, einen dieser insgesamt dreizehn Namen
auszulassen wäre aber ein Verbrechen. Einige dieser Damen werden im Verlauf
dieser Geschichte mehr Gesicht und Gestalt bekommen, andere kommen namentlich
nicht wieder vor. Daß manche von ihnen mehr Präsenz zeigten als andere, sagt
überhaupt nichts darüber aus, ob sie bei uns tatsächlich wohnten oder nicht.
Die vierzehnte Apostelin war unsere Putzfrau Frau Slajsovä, die zweimal in der
Woche kam, allerdings nicht alle Räume betreten durfte. Bei ihren wütenden
Putzorgien ging immer viel zu Bruch, einiges wurde von ihr einfach kaputtgescheuert
oder um irgendeine verschönernde Oberfläche gebracht. Sie schonte aber auch
sich selbst nicht im geringsten, und ich bin mir sicher, daß der Ursprung ihres
Namens im deutschen Wort ver-SCHLEISS zu suchen wäre. Ihre eigene Wohnung war
angeblich vollkommen verdreckt. Bei allen Damen, für deren Geschichte sich in
diesem Text aus rein dramaturgischen Gründen kein Platz finden wird - dies gilt
selbstverständlich nicht für die fleißige Frau Slajsovä -, werde ich mich
später im Jenseits gern noch entschuldigen.
Eine mit
Namen übersäte Skizze der Wohnung würde zu einer Klärung der Verhältnisse wenig
beitragen. Unsere Wohnung erstreckte sich über die gesamte Etage eines
großzügig gebauten Mietshauses - und es gab dauernd irgendwelche
Umschichtungen, Umbauten oder interne Umzüge. Außerdem hielt sich die eine oder
andere Tante zeitweise im Ausland oder dauerhaft im Keller auf, andere kamen
fast täglich vorbei, übernachteten gelegentlich, und die restlichen Mitglieder
des Clans - in diesem Fall waren es Männer - übten ihre Macht als Phantome aus,
lebten also nicht mehr wirklich. Für die wechselnden Besucher, womöglich auch
für den aus völlig areligiösen Motiven erwarteten Messias, stand bei uns
irgendwo immer ein Bett frei. Dazu eine Klarstellung - und diese betrifft auch
den enormen Frauenüberschuß: Aus den KZs kamen nach dem Krieg nicht die Herren,
sondern eher die Damen zurück.
Wenn ein
Besuch beziehungsweise Langzeitbesuch erwartet wurde, kam bei uns einiges in
Bewegung. Ein Teil oder zwei Teile des Flurs konnten mit Vorhängen abgetrennt
werden, aus einer zugerammelten Türöffnung konnte eins der Zusatzbetten
heruntergeklappt, bei Bedarf auch noch ein anderes von der Wand abgenommen
werden. Diese sogenannten Gästezimmer engten die Bewegungsfreiheit eines Teils
der Belegschaft stark ein, alle waren an solche Komplikationen aber längst
gewöhnt. Zu diesem zeitweiligen Durcheinander kam noch die wechselvolle
Geschichte von diversen Kochnischen hinzu, die mit der Koalitionsbildung
zwischen den Tanten und den Brüchen dieser Koalitionen zusammenhing. Eine
unbewegliche Extraküche war der Grund dafür, daß eine seitliche Abzweigung des
Flurs in grauen Urzeiten zugemauert worden war und es auch bleiben mußte.
Daß aber
kein falscher Eindruck entsteht: Alle diese Frauen waren bis auf eine Ausnahme
richtige Damen aus großbürgerlichen Verhältnissen, lebten früher in Villen und
hatten mehrere Dienstboten. Meine liebste Großmutter Lizzy Schornstein war
zudem mit der Baronin Sidonie Nädhernä - deutsch Nädherny (übersetzt: Wunderschön)
- befreundet, kannte Karl Kraus persönlich und hatte in der Vorkriegszeit
nichts dagegen, sich ab und an im Janowitzer Schloß der Nädhernys von Borutin
verwöhnen zu lassen. Wenn auch nicht so oft wie Herr Kraus.
Die Namen
der wenigen, in der Wohnung kurzzeitig doch vorhandenen Männer würde ich auch
gern nennen, die meisten von ihnen spielten in meinem Leben aber keine prägende
Rolle. Sie wurden entweder ins Nichts verstoßen, oder sie hatten sich zu ihren
heimlichen Geliebten gerettet - und man sprach von ihnen nicht
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