Faktor, Jan
sehen konnten, hatte er unter
allen Schrankfüßen große weiche Filzstücke befestigt.
- Bitte,
sagte er dann, wen wollen wir einladen?
Alle
wußten aber längst Bescheid: In seinem Zimmer würde nie ein Fest gefeiert
werden. Und so war es dann auch.
Mein Onkel
wurde einerseits - also tantenseits - zur Bedeutungslosigkeit degradiert,
andererseits war er daran auch selbst schuld. Er wehrte sich oft nicht, und man
hatte eher das Gefühl, er sei mit dem Abschied aus der Klammer der Großfamilie
durchaus zufrieden. Den alltäglichen Familienbetrieb hielt er sich sowieso
eigenmächtig und dauerhaft vom Leib - physisch mit dem dreckschweren Vorhang,
seine eigentliche Nebelkanone war allerdings sein Fernsehapparat, der lange
Zeit auch der einzige in der gesamten Wohnung war. Mit Hilfe dieses
röhrenglühenden Monstrums verschwand mein Onkel gern vollständig in den ihm
vorgegaukelten Welten und befand sich gleichzeitig auf einem sehr einsamen
Vorposten. Nebenbei stand er dort als unser medialer Filter seinen Mann.
Anfangs mußte er mit einem einzigen Fernsehprogramm auskommen - erst später kam
ein zweites hinzu. Er brauchte im Grunde niemanden. In seinen vier, streng
genommen zwei eigenen Wänden erschuf er sich mit der Zeit eine so
geheimnisvolle Realität, daß sogar meine beiden Cousinen - es waren seine
Töchter - sich zu ihm wie zu einem Fremden verhielten. Beim Konsumieren des
Fernsehprogramms tat Onkel ONKEL so gewichtig, daß ich immer das Gefühl hatte,
er wäre von großartigem Wissensdurst getrieben und würde sich vor dem
Bildschirm gezielt auf neue umwälzende Großprojekte vorbereiten. Ich glaubte
weiterhin an ihn - jedenfalls in handwerklicher Hinsicht. Wenn man ihn durch
den Spalt seines Vorhangs ansprach, an dem eine kleine Glocke hing, rief er
immer laut: - Psst! Nicht! Jetzt nicht! Sei still!
Wenn der
Onkel von der Arbeit nach Hause kam, ging er als erstes zu seinem Fernseher und
schaltete ihn ein. Während das Röhrengerät warmlief, zog sich Onkel ONKEL seine
Hose aus und füllte seine Pfeife. Onkels journalistischer Beruf war
anstrengend, verantwortungsvoll und vielschichtig. Er war der alleinherrschende
Chefredakteur, der stellvertretende Chefredakteur, der verantwortliche
Redakteur und die Sekretärin in einer Person, und die Fachzeitschrift für
Energetik, Energiewirtschaft und Energiepolitik, die er vollkommen allein
redigierte, las bei uns niemand. Für niemanden von uns hatte sie je etwas
bedeutet. Außerhalb unserer Familie schien diese Monatsschrift außerdem
vollkommen unbekannt zu sein. Trotzdem dürfte man meinen Onkel ohne weiteres
als Karl Kraus der Energetik, Energiewirtschaft und Energiepolitik bezeichnen,
denke ich. Obwohl ich zugeben muß, daß ich ihn nie im Leben an einem einzigen
Artikel in Manuskriptform habe arbeiten sehen.
Eine ganze
Weile nach dem Einschalten zeigte Onkels Fernseher die ersten beweglichen
Bilder und lief und heizte dann ohne Pause bis zum Schlafengehen. Das
Einstiegsmodell war noch riesig, der winzige Bildschirm wirkte darin wie ein
Guckloch. Mit der Zeit wurden Onkels Bildschirme selbstverständlich immer
größer. Weil er ein von der Technik begeisterter Mensch war, kaufte er in den
Folgejahren grundsätzlich alle Neuentwicklungen, die der sozialistische
Elektronikbetrieb TESLA herausbrachte. An diesem Ausgabenposten sparte er
nicht.
Sein
Ritual beim Zuschauen blieb jahrzehntelang unverändert. Er legte seine weichen
weißen Beine auf seinen selbstgebastelten Nierentisch, rauchte dabei seine
Pfeife und trank seine oft selbstkreierten Gesundheitsliköre und
Kräuterschnäpschen. Ab und zu kommentierte er erregt das Programm, und dank der
zentralen Lage seines Zimmers wußten über seine Gemüts- und Meinungslage
jedefrau und jedermann Bescheid. Mit dem »jedermann« bin ich gemeint. In Onkels
Schrankmauer gab es anfangs noch kleine Ritzen, durch die man ihn beobachten
konnte. Als er diese nach und nach abdichtete, blieben uns allen nur noch
links- oder rechtsseitige Durchblicksmöglichkeiten an seinem Eingangsvorhang
übrig.
Als junger
Mann muß mein Onkel noch ausgesprochen lebendig und witzig gewesen sein. Eva,
seine zukünftige Frau, war von ihm ganz hingerissen. Und sie wollte ihre
Begeisterung auch mit ihrer Mutter teilen. Nachdem sie ihn das erste Mal mit
nach Hause genommen hatte, fragte sie:
- Wie
findest du ihn, sag mal.
Dieser
Mann wird später dick oder krank - oder beides, meinte Lizzy trocken.
Den Mann,
der mein Onkel war, nahm man
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