Faktor, Jan
irgendwelche Bräute, die in den Büschen angeblich von dem einen oder anderen
stehend flachgelegt wurden - dauernd oder abwechselnd ... den eigentlichen
Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte kannte niemand. Vor der Tür standen auch der
immer fesch frisierte Pegina und einer, der den Spitznamen Tarantel hatte -
aber auch einer der Monik-Brüder war dabei. Von den beiden Brüdern wird später
noch kurz die Rede sein - und von ihrer sensiblen Schwester Libuse Monikovä.
Neun harte
Burschen standen also vor meiner Wohnungstür. Sie sahen an diesem Tag
allerdings ungewohnt friedlich aus. Einer von ihnen hielt eine Schallplatte in
den Händen, und bald wurde klar, worum es ihnen ging. Alle in der Gegend
vorhandenen Plattenspieler waren für diese heilige Platte nicht gut genug. Und
im weiten Umkreis war offenbar bekannt, daß ich - in Wirklichkeit meine Mutter
- einen nagelneuen Plattenspieler mit einer Stereonadel besaß. Die Bande wollte
sich die Platte bei mir anhören.
- Es muß
eine Stereonadel sein, meinte der Besitzer der Platte. Wir haben zu Hause
Stereo, mein Vater spinnt aber im Moment.
- Unser
Radio ist leider nicht stereo. Kommt aber, unbedingt.
Der
Hillclimbing- und Schlägertrupp zog sich im Flur die Schuhe aus. Wir gingen zum
Grammophon, auf dem ein uraltes Monoradio aus schwerem Holz stand. Meine Mutter
war arbeiten.
- Der
Sound wird gut, meinte jemand.
- Gutes
altes Röhrengerät, sagte ein anderer.
- Hat aber
keine Höhen, sagte der nächste und hatte vollkommen recht.Das eigentliche neue
Grammophon war ein richtiges kleines Schränkchen auf dünnen Beinen, seine
hellackierte Vorderwand ließ sich hochklappen und ins Innere hineinschieben. Es
war eine Art Schrein. Die meisten meiner Besucher knieten davor wie vor einem
Minialtar, andere saßen im Schneidersitz, der Rest blieb respektvoll stehen.
Übersetzt hieß die Band, die auf dem Umschlag zu sehen war, etwas schlicht »Die
Türen«. Schon bei den ersten schnellen Stick-Schlägen ahnte ich kurioserweise,
daß es auch Explosionen geben würde. Diese kamen dann auch. Mir sägten sich
aber schon die ersten bedrohlich verzerrten Gitarrentöne tief in mein Gehirn -
und das für immer. Die Stimme des Sängers klang absolut ungeschützt, frei von
jeder Lüge - und dieser Mensch war auch optisch eine unheimliche Erscheinung,
er war zum Verlieben schön, geschlechtsübergreifend. »The Doors« machten eine
Musik, wie ich sie noch nie gehört hatte. Niemand spielte so ohne Selbstzweifel
Keyboard wie der Blonde mit der Brille. Und Jim Morrison schien bei aller Härte
ein sanfter Kerl zu sein. Wenn er klagte, klang es mutig, und er tat es, ohne
zu jammern. Sein Sommer war lange noch nicht zu Ende, seine Stimme schien
darüber trotzdem Bescheid zu wissen.
die
besüßte schien leicht nach innen zu lächeln
Mein
Reifen wurde seit meiner Windelzeit nicht nur durch die häusliche Erotisierung
des Alltags begleitet, sondern gleichzeitig mit Informationen aus Politik, sogar
Weltpolitik unterlegt. Zum Glück, sage ich mir heute. Sonst hätte mich eines
Tages vielleicht der sexschleimige Ekel eingeholt und in irgendeinem Bordell
auf ein Traumsofa kotzen lassen. Wenn ich hier von Politik spreche, meine ich
es nicht im verwässerten Sinn des Wortes - wie irgendein umtriebiger
Schönformulierer. Meine Mutter, deren erotische Präsenz Wände und Mauern
durchstrahlen konnte, lebte gleichzeitig für und durch die Politik - und das
ganz konkret, sie tickte synchron mit den Weltereignissen, ihr Wissen war immer
auf dem aktuellsten Stand. Daß ich, das Kind, daran unmittelbar partizipieren
konnte, habe ich unter anderem einer kinderfingerdicken Zeitschrift aus
Westdeutschland zu verdanken, die Mutters Redaktion Woche für Woche bezog und
die meine Mutter - sie arbeitete in der Auslandsabteilung - regelmäßig mit nach
Hause brachte. Diese Zeitschrift hieß »Der Spiegel« und bedeutete auf
Tschechisch »zrcadlo«. So wuchs ich von Angesicht zu Angesicht mit Reizen auf
Hochglanzpapier auf, die sich wöchentlich erneuerten und mit denen die
Normalsterblichen in Prag nicht in Berührung kommen konnten. Und unser
»Spiegel« war nicht nur voller Politik, er quoll außerdem über vor raffinierten
Reklamen, auf denen mit der Zeit immer mehr engelsgleiche Frauenwesen
abgebildet waren. Solche Schönheiten liefen in Prag nirgendwo herum, das
sozialistische Regime wäre nicht einmal technisch in der Lage gewesen - trotz
reicher Erfahrungen beim Lügen undTäuschen -, uns eine
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