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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Chruschtschow als nutzlose Grasfresser
abgestempelt worden waren - mit der Folge, daß der Kraftstoffverbrauch
drastisch in die Höhe schoß. Auf dem Land fuhr man wegen jeder Schachtel
Machorka einfach mit dem Traktor einkaufen - jedenfalls dann, wenn der gesamte
Fuhrpark nicht gerade komplett lahmgelegt war. Meine Mutter hielt mir nach
einer meiner Entgleisungen einen wichtigen Vortrag über »Politik als die Kunst
des Möglichen«, den sie mit Churchills listigem Spruch abschloß: »Die Demokratie
ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.« Böse Fallen
warteten aber sowieso überall. Ich griff manchmal spontan auf nützliche
Begriffe wie die »sowjetische Einflußsphäre« zurück - im offiziellen
Sprachgebrauch war dieser Begriff natürlich tabu. Dem Volk wurde zum Beispiel
auch der eigentliche Name des ägyptischen Staatspräsidenten und Sowjetfreundes
NASSER - was auf tschechisch »Scheiß drauf« bedeutet - verheimlicht, und er
wurde geschickt in Nassir umgewandelt. Oder daß der widerspenstige Kardinal
Mindszenty immer noch - seit 1956 wohlgemerkt - mitten in Budapest in der
amerikanischen Botschaft lebte, schien auch niemand mehr zu wissen. Bald
erzählte ich über politische Angelegenheiten in der Schule lieber gar nichts
mehr.Unsere Clique hatte in der ersten Hälfte der sechziger Jahre
zusammengefunden. Den meisten war die Politik zwar egal, apolitisch waren wir -
so wie wir uns benahmen - aber nicht. Als ein politisches Abenteuer sehe ich
vor allem unseren erotisch unterfütterten Widerstand gegen die Schulleitung.
Die totalitären Kräfte unter den GENOSSEN LEHRERN witterten in unserer
gravitationsstarken Zusammenrottung eine Gefahr, eine gesellschaftliche
Eiterbeule, die nur Unheil streuen konnte. Und sie irrten sich nicht. Unser
Drang nach Freiheiten war ansteckend, war vor allem wegen des dauerhaft
vorhandenen Samendrucks und der starken Duftmarken, die die Mädchenkörper
pausenlos abgaben, nicht wirklich beherrschbar - er entzog sich oft auch
unserer eigenen Kontrolle. Obwohl wir damals noch nicht miteinander schliefen,
standen wir schon alle in den Startlöchern und zitterten vor Aufregung. Den
Anfang machte einer unserer Sitzenbleiber, der Besitzer des gutgenährten
»Bullen«. Er hatte ein auswärtiges, cliquenfremdes Mädchen zur Hand & zum
Glied, das mit ihm ab und zu schlief. Die Nichtmeer-Jungfrau kam zu ihm zu
Besuch, blieb eine halbe Stunde und ging dann wieder - so einfach war das. Ihr
Gang beim Verlassen des Hauses war (im Vergleich zu vorher) unverändert und
verriet uns über das gerade Abgelaufene überhaupt nichts. Wir, die über den
Zeitpunkt der Zusammenkunft unterrichtet waren, standen an der Ecke, quatschten
und waren darauf aus, alle verwertbaren Informationen zu sammeln. Leider hatte
sich das Geflecht der Fragen angesichts dieses Defilees eher vergrößert - es
ging um Fragen, die wir uns in ihrer Konkretheit gegenseitig nicht unbedingt
stellen wollten. Einen Eindruck übermittelte uns das besüßte Wesen allerdings
doch: Es schien leicht nach innen zu lächeln.
    Unsere
Clique war gegen die Lehrergewalt gut gerüstet. Manche von uns waren schwer zu
treffen, weil ihnen alle Zensuren und Beurteilungen gleichgültig waren.
Anderewaren dagegen viel zu intelligent, um Angst vor den Machtmitteln der
Schule haben zu müssen. Unser wirklicher Gegner vor Ort war jemand anderes - es
war der muskulöse, in einer schuleigenen Kellerwohnung hausende Hausmeister. Er
war an sich ein humorvoller, alkohol- und lebensfroher Mensch, mit dem man sich
an manchen Tagen unproblematisch, wie von Mann zu Mann, austauschen konnte. Er
hatte aber auch ganz andere Seiten. Im Alltagsgeschäft setzte er auf die
disziplinierende Wirkung von Gewalt. Mehr noch: Nachträgliche Bestrafungen
hielt er für lächerlich und an sich schon für einen Ausdruck von Schwäche. Er
bestrafte am liebsten präventiv, ohne die Wahrheit wissen und irgendwelche Schuldigen
ausmachen zu wollen. Seine Maßregelungen SOLLTEN offenbar, wie mir später
aufging, ungerecht, unverhältnismäßig und kulturlos sein, um ihre spezielle
Wirkung zu entfalten.
    Wenn der
Mann manchmal - beispielsweise früh vor dem Unterricht - schlechte Laune hatte,
wartete er grimmig am Eingangstor und beobachtete seine in die Schule
einströmenden Schäfchen besonders aufmerksam. Er fokussierte verbissen und
scharf alle, die aus der Reihe tanzten oder irgendwelche Auffälligkeiten
zeigten, konzentrierte sich dabei vor allem auf die

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