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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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allerdings auch, daß wir uns nur selten sehen konnten. Ob mir
ihre Muttermale auch so sehr gefallen würden, wenn ich mit ihnen jeden Tag
hätte spielen können - oder sollen -, bezweifle ich. Wenn sie mich manchmal vom
Telefon ihres Nachbarn anrief und niemand in meiner Nähe war, fragte ich sie
als erstes, was sie anhatte, welche Unterwäsche sie darunter trug, was mir ihre
Schamlippen zu sagen hatten. Dummerweise hatten wir in der Klasse auch eine
Dana. An einem Tag brachte ich die beiden aus Sehnsucht durcheinander und
fragte meine Mitschülerin unvermittelt nach der Farbe ihres Schlüpfers.
     
    die
türen
    Die an der
Nord-Ost-Ecke des barocken Tores ansässige Clique der Älteren wurde immer
rabiater - verbal wie auch physisch. Ihr früheres Liebeswerben - »Laß uns
bumsen, komm« - hatte ich noch gut im Ohr, später redeten sie viel über
technische Dinge - Transistorradios oder Tonbandgeräte. Viele dieser Älteren
hatten inzwischen aber auch echte Motorräder - das heißt
50-Kubikzentimeter-Maschinen, die »Pionyr« hießen und in ihrer blechernen
Ummantelung viel mächtiger aussahen als die mit Pedalen ausgestatteten Mofas
Marke »Stadion«. Der technische, vor allem aber Ansehen verschaffende
Unterschied zwischen den beiden Fahrgeräten war riesig - die älteren Mofas
wurden im Volksmund noch »Ziegenkeuchen« genannt. Wie diese Leute mit ihren
hochwertigen Pionyren umgingen, war furchterregend. Sie veranstalteten manchmal
kleine Motorradrennen um einige Häuserblocks, einen Helm trug damals noch
niemand. Immerhin verteilten sie vor dem Rennen einige nicht motorisierte
Freunde an wichtigen Häuserecken, die Schmiere stehen und Fahrradfahrer warnen
sollten. Autofahrer sollten auf sich selbst achten, bremsen und ausweichen
lernen. Eines Tages kamen die Burschen auf die Idee, ein Rennen am steilen Hang
des begrünten Tors zu veranstalten. Diese halsbrecherischen Cross-Rennen wurden
selbstverständlich in Amerika erfunden und heißen in der übrigen Welt deswegen
auch Hillclimbing - im Tschechischen allerdings schlicht und einfach »Rennen am
steilen Hang«. Die Hang-Rennfahrer legten eine Bohle vor die Bürgersteigkante,
einige Ziegelsteine und eine Stahlplatte vor die Begrenzung der erdigen Torflanke.
Der folgende Wegnach oben, also die eigentliche Steigung, war gut
freigetrampelt, links und rechts davon vegetierten einige Büsche.
    Bis nach
oben schaffte es niemand, die Motorkraft reichte nicht einmal für die erste
Hochebene des Tores. Dafür aber waren die Unfälle, die die Jungs uns
vorführten, spektakulär und vor allem im Grad ihrer Materialverachtung
ungewöhnlich. Sie retteten sich oft im letzten Moment in die Büsche und mußten
ihr Gerät, wenn ihre Helfershelfer - links und rechts der Steigung plaziert -
es nicht auffangen konnten, einfach nach unten purzeln lassen. Blech knirschte
und verbog sich, Auspuffe wurden flachgedrückt oder abgerissen, Glas der
Scheinwerfer ging zu Bruch. Und niemand wollte als erster vorschlagen, das
Rennen abzubrechen. So wie sie mit Werten und mit Material umgingen, gingen sie
sonst auch mit ihren Gegnern um. Es gab Spannungen und Schlägereien, diese
fanden - hörte man jedenfalls - an unterschiedlichen, von Sekundanten
verabredeten Orten statt. Und eines Tages wurde eins der Motorräder angezündet
und brannte aus. Erst dann erschien die Polizei. Von dem großen »Rennen am
steilen Tor« hatte man in der Wachstube seinerzeit überhaupt nichts
mitbekommen.
    Einige
Tage nach dem Brand klopfte nachmittags jemand heftig bei uns an die Tür. Weil
ich sonst nie Besuch bekam, war ich normalerweise nicht gemeint, wenn es an der
Tür Geräusche gab. Aber Klopfen konnte genausogut auch Unheil bedeuten. Ich
ging hin, in der Wohnung regte sich sonst niemand - und vor mir stand die
gesamte Motorradmeute. Ich war mir sicher, daß mich jemand der Brandstiftung
beschuldigt haben mußte. Am meisten fürchtete ich mich vor einem der Schläger -
er hatte ein extrem flaches Gesicht, und die Haut, mit der dieses bespannt war,
sah immer leicht gerötet aus. Vielleicht war daran seine Leber nach
überstandener Gelbsucht schuld, vielleicht Alkohol oder hoher Blutdruck. Und
egal, wie medizinisch ahnungslos ich damals war, solche bedrohlichen
körperlichen Signale registrierte ich ganz deutlich. Auf jeden Fall sah dieser
Mensch immer geladen und wütend aus und hatte riesige Fäuste. Es war sein
Motorrad, das abgebrannt war. Angeblich kämpften und rivalisierten die Burschen
um

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